Delia und der Sohn des Häuptlings
er, wie tot lag er da. Aber immerhin, er hat noch auf allen vieren fortkriechen können, bevor er zusammenbrach. So ist er dem Skalpieren entgangen.“
Delia schauderte.
„Also, ich habe ihn aufgelesen und gesundgepflegt“, fuhr Bill der Trapper fort. „Aber sehr dankbar war er nicht, dass ich ihm das Leben gerettet habe, es war ja auch buchstäblich nur das nackte Leben. Alles, was er sich in New York erarbeitet hatte — und er hatte hart gearbeitet und jeden Dollar beiseite gelegt — das war futsch. Die Indianer hatten genommen, was sie kriegen konnten. Einen Teil hatten die Einwanderer mitgehen lassen, die dem Überfall entronnen waren … na, und der Rest, der hat auch noch seine Abnehmer gefunden, während ich deinen Vater in meinem Lager gesundpflegte. Wir haben den Platz in der Prärie, wo es passiert ist, später noch einmal aufgesucht, aber da war nichts mehr zu finden außer ein paar Gerippen von Kühen und Pferden, von toten Tieren, die die Schakale fein säuberlich abgenagt hatten …“ Bill der Trapper machte eine Pause, in der er sich bemühte, seine Pfeife zum Brennen zu bringen.
„Hauptsache, er selbst lebte und war wieder gesund!“ sagte Delia.
Der Trapper paffte. „Genau meine Meinung“, sagte er. „Aber dein Vater dachte wohl anders darüber. Er hatte sich vorgenommen, seine Familie aus Deutschland nachkommen zu lassen, sobald er was erreicht hatte. Aber nun war das alles danebengegangen.“
„Aber das hätte er doch wenigstens schreiben können!“
„Das sagst du. Aber dein Vater hat es eben nicht getan. Wer weiß, warum. Vielleicht hat er sich geschämt. Oder er wollte euch keine Hoffnungen machen, weil er sich selbst hoffnungslos fühlte. Oder vielleicht hatte er auch keine Gelegenheit mehr, zu schreiben.“
Delia ließ sich langsam wieder auf dem Boden nieder. „Wie meinen Sie das?“
„Nun, ich habe deinen Vater zuletzt im Sommer vor zwei Jahren gesehen. Ich habe ihm noch einen Mustang gefangen und zugeritten, mehr konnte ich nicht für ihn tun. Gesund war er zwar, aber noch nicht sehr kräftig. Wer weiß, wie weit er gekommen ist.“
Delia war sehr blass geworden. „Ich weiß, dass er lebt“, sagte sie heftig. „Ich bin ganz sicher … nein, versuchen Sie bloß nicht, mir einzureden, dass ihm etwas zugestoßen ist! Ich weiß, dass er lebt, und ich werde ihn finden.“
„Na, dann viel Glück!“
„Sagen Sie mir nur, wo ist er denn hingeritten? Wieder nach New York zurück?“
Der Trapper stieß eine blaue Rauchwolke aus. „Das wäre wohl das Gescheiteste gewesen für ein Greenhorn wie ihn! Aber nein, ihn trieb es nach Westen. Er hatte gehört, dass da hinten, schon nahe bei der anderen Küste, Gold gefunden worden ist. Da wollte er hin und sein Glück versuchen.“
Delia saß mit gekreuzten Beinen und starrte nachdenklich in die Asche des Feuers, aus der allmählich auch die letzte Glut verlosch. Sie dachte angestrengt nach. Der Professor wandte sich von seinem Riesenknochen ab, mit dem er bisher immer noch beschäftigt gewesen war, legte ihr die Schnauze aufs Knie, und sie kraulte ihn versonnen hinter den Ohren.
Ganz plötzlich erhob sie sich. „Haben Sie Dank für alles, Mister Bill“, sagte sie höflich. „Ich bin sehr froh, dass ich Sie gesprochen habe. Aber jetzt müssen wir gehen.“
Akitu verstand zwar nicht ihre Worte, aber er merkte ihre Absicht. Mit einer geschmeidigen Bewegung stand er ebenfalls auf den Beinen.
Bill der Trapper warf den Kopf in den Nacken und starrte zu ihr hinauf. „Du bildest dir doch nicht etwa ein, du kannst mutterseelenallein quer über den Kontinent spazieren und deinen Vater in irgendeinem Goldgräberdorf finden?“
„Darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken“, erwiderte Delia. „Erst will ich zurück zu meinem Stamm!“
Jetzt sprang auch Bill der Trapper auf. „Das kommt nicht infrage!“ sagte er. „Dieser rote Bursche da kann von mir aus gehen, wohin er will — aber dich bringe ich zu den Weißen!“
Delia wich einen Schritt zurück — nicht, weil sie Angst gehabt hätte, sondern weil sie sich erinnerte, dass sie die doppelläufige Flinte des Trappers hinter sich auf einen Baumstumpf gelegt hatte. „Mit welchem Recht?“ fragte sie.
„Na, bin ich nicht etwa ein Freund deines Vaters?“
„Vielleicht sind Sie das wirklich! Aber woher soll ich das wissen? Auf jeden Fall gehöre ich zum Stamm der Iowanokas, und der Häuptling ist mein Vater!“
„Du bist ja verrückt!“ schrie der
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