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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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strecke ich die Hand aus und schlage mit solcher Wucht dagegen, dass er wackelt, drehe mich um und rufe »Erste!«, als Hana eine Sekunde nach mir ankommt und nach Atem ringt. Wir lachen beide, hicksen und schnappen gierig nach Luft, während wir im Kreis gehen, um unsere Atmung zu beruhigen.
    Als Hana schließlich wieder normal atmet, richtet sie sich lachend auf. »Ich hab dich gewinnen lassen«, sagt sie, unser Standardwitz.
    Ich kicke ein paar Kieselsteine in ihre Richtung. Sie duckt sich kreischend.
    Â»Red dir das ruhig ein.« Mein Pferdeschwanz hat sich gelöst und ich nestle die Haare aus dem Gummiband und werfe den Kopf nach vorn, damit mir der Wind den Nacken kühlt. Schweiß läuft mir in die Augen, die anfangen zu brennen.
    Â»Netter Anblick.« Hana schubst mich leicht und ich stolpere seitwärts, werfe den Kopf wieder zurück und will ihr einen Stoß versetzen.
    Sie weicht mir aus. Im Maschendrahtzaun ist eine Lücke, von der eine schmale Zufahrtsstraße wegführt. Sie ist von einem niedrigen Metalltor verschlossen. Hana springt hinüber und macht mir ein Zeichen, ihr zu folgen. Ich habe gar nicht bemerkt, wo wir sind. Die Zufahrtsstraße führt über einen Parkplatz und durch eine Ansammlung von Müllcontainern und Lagerhäusern. Dahinter steht die vertraute Reihe aus weißen quadratischen Gebäuden, die aussehen wie riesige Zähne. Dies muss einer der Seiteneingänge des Laborkomplexes sein. Ich sehe jetzt, dass der Maschendrahtzaun oben von Stacheldrahtschleifen gekrönt ist und alle fünf Meter ein Schild hängt, auf dem steht: PRIVATGELÄNDE . ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN .
    Â»Ich glaube nicht, dass wir …«, hebe ich an, aber Hana unterbricht mich.
    Â»Komm schon«, ruft sie, »entspann dich mal.«
    Ich lasse meinen Blick schnell über den Parkplatz jenseits des Tors und die Straße hinter uns schweifen. Niemand da. Das kleine Wachhäuschen direkt hinter dem Tor ist ebenfalls leer. Ich beuge mich vor und spähe hinein. Auf einem Stück Butterbrotpapier liegt ein halb aufgegessenes Sandwich und ein paar Bücher sind unordentlich auf einem kleinen Tisch neben einem altmodischen Radio aufgestapelt, das inmitten der Stille rauschende und abgehackte Musikfetzen ausspuckt. Ich kann auch keine Überwachungskameras entdecken, obwohl es welche geben muss. Alle Regierungsgebäude sind vernetzt. Ich zögere noch einen Moment, dann schwinge ich mich über das Tor und hole Hana ein. Ihre Augen leuchten vor Aufregung und mir wird klar, dass das von Anfang an ihr Plan und ihr Ziel war.
    Â»Hier müssen die Invaliden reingekommen sein«, sagt sie schnell und atemlos, als hätten wir die ganze Zeit über das, was gestern bei den Labors passiert ist, gesprochen. »Meinst du nicht?«
    Â»Es sieht nicht so aus, als wäre es sehr schwierig gewesen.« Ich versuche beiläufig zu klingen, aber das alles hier – die leere Zufahrtsstraße und der riesige Parkplatz, der in der Sonne schimmert, die blauen Container und die Stromkabel, die im Zickzack über den Himmel verlaufen, die glitzernd weißen, schrägen Labordächer – verursacht mir ein unbehagliches Gefühl. Alles ist still – beinahe erstarrt, wie manchmal im Traum oder kurz vor einem heftigen Gewitter. Ich will es Hana nicht sagen, aber ich würde so ziemlich alles geben, um zurück nach Old Port zu laufen, zu den vertrauten Straßen und Geschäften.
    Obwohl niemand in der Nähe ist, habe ich den Eindruck, beobachtet zu werden. Er ist stärker als das normale Gefühl der Überwachung in der Schule, auf der Straße und sogar zu Hause, wo man immer aufpassen muss, was man sagt und tut, dieses Gefühl der Enge und Eingeschlossenheit, an das sich alle irgendwann gewöhnen.
    Â»Ja, echt.« Hana tritt mit der Fußspitze in die festgetretene Erde vor uns. Eine Staubwolke wirbelt auf und senkt sich langsam wieder. »Ziemlich bescheidene Sicherheitsvorkehrungen für eine wichtige medizinische Einrichtung.«
    Â»Ziemlich bescheidene Sicherheitsvorkehrungen für einen Streichelzoo«, sage ich.
    Â»Das will ich jetzt aber nicht gehört haben«, ertönt eine Stimme hinter uns. Hana und ich zucken zusammen.
    Ich drehe mich um. Die Welt scheint für einen Augenblick stillzustehen.
    Hinter uns steht ein Junge, den Kopf schräg gelegt. Ein Junge mit karamellfarbener Haut und goldbraunen

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