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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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vor kurzem noch gut fand. Jetzt kommt sie mir nur vor wie Lärm – tosender Lärm. »Meinst du, wir können näher ran, ohne zertrampelt zu werden?«
    Ich ignoriere die Tatsache, dass er gerade »wir« gesagt hat, ein Wort, das aus irgendeinem Grund unglaublich attraktiv klingt, wenn er es auf seine singende, lachende Art ausspricht. »Eigentlich wollte ich gerade gehen.« Mir wird klar, dass ich wütend auf ihn bin, ohne zu wissen, warum – vielleicht weil er nicht das ist, was ich in ihm gesehen habe. Obwohl ich eigentlich dankbar dafür sein sollte, dass er normal ist, geheilt und immun.
    Â»Du wolltest gehen?«, wiederholt er ungläubig. »Du kannst doch jetzt nicht nach Hause.«
    Ich achte immer darauf, mich nicht von Ärger und Zorn hinreißen zu lassen. Das kann ich mir bei Carol nicht erlauben. Ich schulde ihr so viel – und abgesehen davon fand ich es nach den paar Wutanfällen, die ich als Kind hatte, immer furchtbar, wenn sie mich tagelang von der Seite ansah; als würde sie mich analysieren und beurteilen. Ich wusste, was sie dachte: Genau wie ihre Mutter. Aber jetzt gebe ich nach und lasse die Wut in mir aufsteigen. Ich habe die Leute satt, die so tun, als wäre diese Welt – diese andere Welt – die normale und ich der Freak. Das ist unfair: Als wären alle Regeln plötzlich geändert worden und irgendjemand hätte vergessen, es mir zu sagen.
    Â»Das kann ich sehr wohl und das werde ich auch.« Ich drehe mich um und gehe den Hügel hoch, in der Annahme, dass er mich dann in Ruhe lässt. Zu meiner Überraschung tut er das nicht.
    Â»Warte!« Er rennt hinter mir den Berg hoch.
    Â»Was machst du da?« Ich wirbele zu ihm herum – erneut erstaunt, wie selbstsicher ich klinge, wenn man bedenkt, dass mein Herz rast und stolpert. Vielleicht liegt darin das Geheimnis, wie man mit Jungen redet – vielleicht muss man einfach die ganze Zeit wütend sein.
    Â»Wieso?« Wir sind beide etwas außer Atem vom Bergauflaufen, aber er bringt trotzdem noch ein Lächeln zu Stande. »Ich will nur mit dir reden.«
    Â»Du verfolgst mich.« Ich verschränke unwillkürlich die Arme, wie um den Raum zwischen uns zu versperren. »Du verfolgst mich schon wieder .«
    Das war’s. Er geht ein paar Schritte zurück und ich verspüre eine kurze, boshafte Freude darüber, dass ich ihn überrumpelt habe. »Schon wieder?«, wiederholt er. Ich bin froh, dass ausnahmsweise nicht ich diejenige bin, die stottert oder nach Worten ringt.
    Die Wörter fliegen mir nur so aus dem Mund: »Ist doch schon ein bisschen seltsam, dass ich dich mein ganzes Leben lang noch nie gesehen habe und dich dann plötzlich überall treffe.« Ich hatte gar nicht vor, das zu sagen – eigentlich war mir das überhaupt nicht seltsam vorgekommen –, aber in dem Moment, in dem ich es ausspreche, wird mir bewusst, dass es wahr ist.
    Ich rechne damit, dass er sauer wird, aber erstaunlicherweise legt er den Kopf zurück und lacht ausgiebig und laut, während das Mondlicht die Wölbung seiner Wangen, sein Kinn und seine Nase versilbert. Ich bin so überrascht von seiner Reaktion, dass ich einfach dastehe und ihn anstarre. Schließlich sieht er mich an. Obwohl ich seine Augen immer noch nicht erkennen kann – denn alles, was der Mond nicht in helles, kristallklares Silber taucht, ist in tiefster Schwärze verborgen –, erscheinen sie mir hell und klar, wie an dem Tag bei den Labors.
    Â»Vielleicht warst du einfach nicht aufmerksam genug«, sagt er leise und wippt leicht auf seinen Füßen nach vorn.
    Ich trete unbewusst einen halb schlurfenden Schritt zurück. Seine Nähe macht mir Angst; das Gefühl, wir würden uns berühren, obwohl unsere Körper ein ganzes Stück voneinander entfernt sind.
    Â»Was … was soll das heißen?«
    Â»Das soll heißen, dass du dich irrst.« Er schweigt und sieht mich an und ich gebe mir Mühe, meine Mimik zu kontrollieren, obwohl ich spüren kann, wie mein linkes Auge sich anspannt und zuckt. Hoffentlich fällt ihm das in der Dunkelheit nicht auf. »Wir haben uns schon oft gesehen.«
    Â»Ich würde mich daran erinnern, wenn wir uns schon mal getroffen hätten.«
    Â»Ich habe nicht gesagt, wir hätten uns getroffen .« Er versucht nicht, den Abstand zwischen uns zu überwinden, und zumindest dafür bin ich dankbar. Er

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