Delirium
Turnschuhen mit den tintenblauen Schnürsenkeln und einem ausgeblichenen T-Shirt.
»Was machst du denn hier?«, stammele ich, als er mich eingeholt hat.
Er grinst. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.«
Er lässt einen knappen Meter Abstand zwischen uns, worüber ich froh bin. So kann ich im Halbdunkel die Farbe seiner Augen nicht erkennen, und gerade jetzt darf ich mich nicht ablenken lassen, darf ich ein Gefühl wie bei den Labors nicht zulassen, als er sich vorbeugte, um mir etwas zuzuflüstern â dieses klare Bewusstsein, dass sein Mund nur wenige Zentimeter von meinem Ohr entfernt war, die Angst, die Schuldgefühle und die Aufregung zugleich.
»Ich mein es ernst.« Ich gebe mir alle Mühe, ihn mürrisch anzusehen.
Sein Lächeln wird schwächer, verschwindet jedoch nicht ganz. Er bläst Luft zwischen den Lippen hervor. »Ich bin wegen der Musik hier«, sagt er. »Wie alle anderen auch.«
»Aber du kannst doch nicht â¦Â« Ich versuche Worte zu finden, unsicher, was ich eigentlich sagen will. »Aber das hier ist â¦Â«
»Illegal?« Er zuckt die Achseln. Eine Haarsträhne kringelt sich vor seinem linken Auge und als er sich umdreht, um den Blick über die Party schweifen zu lassen, bricht sich das Licht von der Bühne darin und sie funkelt in diesem verrückten Goldbraun. »Es ist in Ordnung«, sagt er leiser, so dass ich den Kopf vorschieben muss, um ihn über die Musik hinweg hören zu können. »Niemand tut jemandem was.«
Das weiÃt du nicht, will ich gerade sagen, aber in seinen Worten schwingt eine Spur Trauer mit und ich halte inne. Alex fährt sich mit einer Hand durch die Haare und ich erkenne die kleine dunkle, dreizackige Narbe hinter seinem linken Ohr, vollkommen symmetrisch. Vielleicht trauert er nur dem nach, was er durch den Eingriff verloren hat. Musik bewegt die Menschen zum Beispiel nicht mehr so wie vorher, und auch wenn er eigentlich vom Gefühl des Bedauerns geheilt sein müsste, funktioniert das Heilmittel eben nicht bei allen gleich und ist nicht immer perfekt. Deshalb träumen meine Tante und mein Onkel manchmal noch. Deshalb bekam meine Cousine Marcia immer wieder hysterische Weinkrämpfe, ganz unvermittelt und ohne ersichtlichen Grund.
»Und was ist mit dir?« Er wendet sich wieder mir zu und sein Lächeln ist zurück, genau wie der neckende, zwinkernde Tonfall in seiner Stimme. »Was hast du für eine Ausrede?«
»Ich wollte eigentlich gar nicht kommen«, sage ich schnell. »Ich musste â¦Â« Ich breche ab, als mir klar wird, dass ich gar nicht sicher bin, warum ich überhaupt hier bin. »Ich musste jemandem was geben«, sage ich schlieÃlich.
Er hebt die Augenbrauen, sichtbar unbeeindruckt. Ich spreche schnell weiter: »Hana. Meiner Freundin. Du hast sie neulich kennengelernt.«
»Ich erinnere mich«, sagt er. Ich habe noch nie jemanden so lange lächeln sehen. Es ist, als wäre das der natürliche Ausdruck auf seinem Gesicht. »Du hast dich übrigens noch gar nicht entschuldigt.«
»Wofür?« Die Menge hat sich näher an die Bühne gedrängt, daher sind Alex und ich nicht länger von Leuten umringt. Gelegentlich geht jemand mit einer Flasche in der Hand vorbei und singt schräg mit, aber die meiste Zeit sind wir allein.
»Dafür, dass du mir einen Korb gegeben hast.« Einer seiner Mundwinkel zuckt noch etwas höher und ich habe erneut das Gefühl, als teilte er ein wunderbares Geheimnis mit mir, als versuchte er mir etwas zu sagen. »Du bist damals nicht bei Back Cove aufgetaucht.«
Plötzlicher Triumph erfüllt mich â er hat also wirklich in der Bucht auf mich gewartet! Er wollte sich wirklich mit mir treffen! Gleichzeitig lodert die Angst in mir auf. Er will etwas von mir. Ich bin mir nicht sicher, was, aber ich kann es spüren und es beunruhigt mich.
»Also?« Er verschränkt die Arme und wippt auf seinen Fersen, immer noch lächelnd. »Entschuldigst du dich jetzt oder nicht?«
Seine Unbeschwertheit und Selbstsicherheit gehen mir auf die Nerven, genau wie neulich bei den Labors. Es ist so unfair, weil ich mich so ganz anders fühle â als würde ich gleich einen Herzinfarkt bekommen oder zu einer Pfütze zerschmelzen.
»Ich entschuldige mich nicht bei Lügnern«, sage ich, überrascht, wie unbewegt meine Stimme klingt.
Er zuckt zusammen. »Was
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