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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Geräusch ist der Wind, der über das Gras wispert. Von unserem Standort fünfzehn Meter jenseits der Hügelkuppe aus sind die Scheune und die Party nicht zu sehen. Ich stelle mir kurz vor, wir wären die einzigen Menschen draußen in der Dunkelheit – die einzigen wachen und lebenden Menschen in der Stadt, auf der ganzen Welt.
    Dann beginnen sich zarte Musikstränge in die Luft zu winden, sanft, seufzend, zunächst so leise, dass ich die Klänge für den Wind halte. Diese Musik ist vollkommen anders als die vorhin – zart und zerbrechlich, als wäre jede Note gesponnenes Glas oder ein seidener Faden, der sich in die Nachtluft hinauf- und wieder zurückschlängelt. Ich bin erneut fasziniert davon, wie wunderschön sie ist, so etwas habe ich noch nie gehört, und wie aus dem Nichts überwältigt mich das Verlangen, zu lachen und zu weinen zugleich.
    Â»Das ist mein Lieblingslied.« Eine Wolke schiebt sich vor den Mond und hüllt Alex’ Gesicht in Schatten. Er sieht mich immer noch an und ich wüsste gerne, was er denkt. »Hast du schon mal getanzt?«
    Â»Nein«, sage ich etwas zu heftig.
    Er lacht leise. »Keine Angst, ich verrat’s auch niemandem.«
    Bilder von meiner Mutter: wie weich ihre Hände waren, wenn sie mich über die ausgedehnten polierten Holzböden in unserem Haus wirbelte wie beim Eiskunstlauf; der Flötenton ihrer Stimme, wenn sie lachend die Lieder mitsang, die aus den Lautsprechern erklangen. »Meine Mutter hat getanzt«, sage ich. Die Worte rutschen mir heraus und ich bereue sie praktisch sofort.
    Aber Alex fragt nicht nach und lacht auch nicht. Er sieht mich weiterhin unverwandt an. Einen Augenblick scheint er etwas sagen zu wollen. Aber dann streckt er nur die Hand über den Zwischenraum, über die Dunkelheit hinweg nach mir aus.
    Â»Hast du Lust?«, fragt er. Seine Stimme ist über dem Wind fast nicht zu hören – so leise, dass es kaum ein Flüstern ist.
    Â»Lust wozu?« Mein Herz dröhnt, rauscht in meinen Ohren, und obwohl immer noch mehrere Zentimeter zwischen unseren Händen sind, ist da eine knisternde, summende Energie, die uns miteinander verbindet. Nach der Hitze zu urteilen, die meinen Körper durchströmt, könnte man meinen, wir wären eng aneinandergepresst, Handfläche an Handfläche, Gesicht an Gesicht.
    Â»Tanzen«, sagt er im selben Augenblick, als er die letzten paar Zentimeter überbrückt, meine Hand ergreift und mich an sich zieht, und in dieser Sekunde schraubt sich die Melodie in die Höhe und alles wird eins, seine Hand mit meiner und die anschwellende, immer lauter werdende Musik.
    Wir tanzen.
    Die meisten Dinge, sogar die größten Bewegungen auf der Erde, beginnen mit etwas Kleinem. Ein Erdbeben, das eine Stadt zerstört, beginnt vielleicht mit einer leichten Erschütterung, einem Zittern, kaum wahrnehmbar. Musik beginnt mit einer Schwingung. Die Flut, die vor zwanzig Jahren nach fast zwei Monaten strömendem Regen Portland überschwemmte, zwischen den Labors hindurchschoss, über tausend Häuser beschädigte, Reifen, Mülltüten und alte, stinkende Schuhe mit sich riss und durch die Straßen schwemmte, danach eine dünne Schicht aus grünem Schimmel zurückließ, einen Gestank nach Fäulnis und Verfall, der monatelang nicht aus der Luft wich, begann mit einem fingerbreiten Rinnsal, das auf den Kai schwappte.
    Und Gott schuf das Universum aus einem Atom, das nicht größer war als ein Gedanke.
    Gracies Leben brach wegen eines einzelnen Wortes auseinander: Sympathisant . Meine Welt explodierte wegen eines anderen Wortes: Selbstmord .
    Genauer: Das war das erste Mal, dass meine Welt explodierte.
    Als meine Welt zum zweiten Mal explodierte, war es auch wegen eines Wortes. Eines Wortes, das sich aus meiner Kehle hocharbeitete und auf meine Lippen und darüber hinwegtanzte, bevor ich auch nur nachdenken oder es zurückhalten konnte.
    Die Frage lautete: Wollen wir uns morgen treffen?
    Und das Wort war: Ja.

zehn
    Symptome der Amor deliria nervosa
    Erste Phase
    Geistige Abwesenheit; Konzentrationsschwierigkeiten
    Mundtrockenheit
    starkes Schwitzen, feuchte Handflächen
    Anfälle von Benommenheit und Orientierungslosigkeit
    Bewusstseinsstörungen; Gedankenflucht;
eingeschränktes Urteilsvermögen
    Zweite Phase
    Phasen der Euphorie, Hysterie und Antriebssteigerung
    Phasen der Verzweiflung;

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