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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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kaut seitlich auf seiner Lippe – das lässt ihn jünger wirken. »Darf ich dich was fragen?«, fährt er fort. »Wie kommt es, dass du nicht mehr am Gouverneur vorbeiläufst?«
    Unwillkürlich schnappe ich nach Luft. »Woher weißt du das mit dem Gouverneur?«
    Â»Ich studiere an der UP «, sagt er. University of Portland – jetzt fällt es mir wieder ein, der Nachmittag, an dem wir den Hügel hinaufgegangen sind, um vom hinteren Teil des Laborkomplexes aus aufs Meer zu sehen, wie mir der Wind Bruchstücke seines Gesprächs mit Hana zutrug. Damals hatte er wirklich gesagt, er sei Student. »Ich habe letztes Semester in der Kaffeerösterei am Monument Square gearbeitet. Ich habe dich andauernd gesehen.«
    Mein Mund klappt auf und zu. Kein Wort kommt heraus; immer wenn ich es am nötigsten brauche, hat mein Gehirn Pause. Natürlich kenne ich die Kaffeerösterei; Hana und ich sind zwei- bis dreimal pro Woche daran vorbeigelaufen und haben die Studenten wie dahintreibende Schneeflocken hinein- und herausströmen und den Dampf von ihren Bechern pusten sehen. Die Kaffeerösterei liegt an einem kleinen, kopfsteingepflasterten Platz namens Monument Square. Er markiert die Hälfte einer der Zehnkilometerrunden, die ich früher oft gelaufen bin.
    Mitten auf dem Platz steht die Statue eines Mannes, schon ganz verwittert von Schnee und Wind und mit ein paar geschwungenen Graffitikringeln bekritzelt. Er beugt sich vor, eine Hand hält den Hut auf seinem Kopf fest, so dass es aussieht, als kämpfte er gegen einen heftigen Sturm oder kräftigen Gegenwind an. Seine andere Faust ist nach vorn gestreckt. Es ist offensichtlich, dass er vor langer Zeit irgendetwas hielt – wahrscheinlich eine Fackel –, aber irgendwann brach dieses Teil ab oder wurde gestohlen. Jetzt schreitet der Gouverneur also mit leerer Faust vorwärts, ein kreisrundes Loch in der Hand, das ein perfektes Versteck für Nachrichten und Geheimbotschaften darstellt. Hana und ich haben manchmal in seiner Faust nachgesehen, ob etwas Gutes drinsteckte. Aber da war nie was – abgesehen von ein paar zusammengeklebten Kaugummis und einigen Münzen.
    Wann oder warum Hana und ich anfingen, ihn Gouverneur zu nennen, weiß ich eigentlich gar nicht mehr. Durch Wind und Regen ist die Plakette am Fuß der Statue unlesbar geworden. Sonst nennt ihn niemand so. Alle anderen sagen bloß: »Die Statue am Monument Square.« Alex muss eins unserer Gespräche über den Gouverneur mit angehört haben.
    Alex sieht mich immer noch abwartend an und mir wird klar, dass ich seine Frage nicht beantwortet habe. »Ich muss immer mal die Strecke wechseln«, sage ich. Ich bin wahrscheinlich seit März oder April nicht mehr beim Gouverneur vorbeigelaufen. »Sonst wird es langweilig.« Und dann, weil ich nicht anders kann, quieke ich: »Du erinnerst dich an mich?«
    Er lacht. »Du warst kaum zu übersehen. Du bist immer um die Statue rumgerannt und -gesprungen und hast irgendwas gerufen.«
    Hitze kriecht mir den Nacken und die Wangen hinauf. Bestimmt bin ich wieder knallrot, und ich danke Gott dafür, dass wir uns von den Bühnenlichtern entfernt haben. Das habe ich völlig vergessen; ich bin immer hochgesprungen und habe versucht mit dem Gouverneur abzuklatschen, wenn Hana und ich vorbeigerannt sind, als eine Art psychische Einstimmung auf den Lauf zurück zur Schule. Manchmal haben wir sogar »Halena!« gerufen. Wir müssen einen total bescheuerten Eindruck gemacht haben.
    Â»Ich …« Ich lecke mir über die Lippen, krame nach einer Erklärung, die nicht lächerlich klingt. »Beim Laufen macht man manchmal komische Sachen. Wegen der Endorphine und so. Das ist wie eine Droge, weißt du? Bringt das Gehirn durcheinander.«
    Â»Mir hat’s gefallen«, sagt er. »Du hast …« Er verstummt kurz. Sein Gesicht zieht sich ein wenig zusammen, eine winzige Veränderung, die ich in der Dunkelheit kaum erkennen kann, aber in diesem Augenblick sieht er so unbewegt und traurig aus, dass es mir beinahe den Atem raubt, als sei er eine Statue oder ein anderer Mensch. Ich fürchte schon, er wird den Satz nicht zu Ende bringen, aber dann sagt er: »Du hast glücklich ausgesehen.«
    Eine Weile stehen wir einfach nur schweigend da. Dann ist er plötzlich wieder zurück, der unbeschwerte, lächelnde Alex. »Ich habe einmal eine Nachricht

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