Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
absichtslos dem Orte, an dem ich die erwähnte Bewegung bemerkt hatte. Dabei kehrte ich dem Busche den Rücken zu; plötzlich aber drehte ich mich um und stand mit einem schnellen Sprunge mitten im dichten Zweigwerk. Vor mir kauerte ein Mann, er sah noch jung aus, hatte aber beinahe einen militärischen Anstrich, obgleich ich nur ein Messer als einzige Waffe bei ihm bemerkte. Eine breite Narbe zog sich über seine rechte Wange. Er erhob sich und wollte sich rasch zurückziehen, ich aber faßte seine Hand und hielt ihn fest.
»Was thust du hier?« fragte ich.
»Nichts.«
»Wer bist du?«
»Ein – ein Dschesidi,« klang es zaghaft.
»Woher?«
»Ich heiße Lassa und bin ein Dassini.«
Ich hatte gehört, daß die Dassini eine der vornehmsten Familien der Dschesidi seien; er sah mir aber gar nicht aus wie ein Teufelsanbeter.
»Ich habe dich gefragt, was du hier thust?«
»Ich versteckte mich, weil ich dich nicht stören wollte.«
»Und was thatest du vorher hier?«
»Ich wollte baden.«
»Wo hast du die Wäsche?«
»Ich habe keine.«
»Du warst vor mir hier und hattest also das Recht, hier zu bleiben, statt dich zu verstecken. Wo hast du diese Nacht geschlafen?«
»Im Dorfe.«
»Bei wem?«
»Bei – bei – bei – – ich kenne seinen Namen nicht.«
»Ein Dassini kehrt bei keinem Manne ein, dessen Namen er nicht kennt. Komm mit mir und zeige mir deinen Wirt!«
»Ich muß vorher baden!«
»Das wirst du nachher thun. Vorwärts!«
Er versuchte, sich von meinem Griffe zu befreien.
»Mit welchem Rechte sprichst du in dieser Weise zu mir?«
»Mit dem Rechte des Mißtrauens.«
»Ebenso könnte ich dir mißtrauen!«
»Natürlich! Ich bitte dich, es zu thun. Dann führst du mich in das Dorf, und es wird sich zeigen, wer ich bin.«
»Gehe, wohin es dir beliebt!«
»Das thue ich auch; aber du wirst mich begleiten.«
Sein Blick hing an meinem Gürtel; er bemerkte, daß ich keine Waffe bei mir trug, und ich sah es ihm an, daß er im Begriffe stehe, nach seinem Messer zu greifen. Dies konnte mich aber nicht irre machen; darum hielt ich sein Handgelenk nur fester und gab ihm einen scharfen Ruck, der ihn zwang, aus dem Busch heraus in das Freie zu treten.
»Was wagest du?« blitzte er mich an.
»Gar nichts. Du gehst mit mir; tschapuk – sofort!«
»Laß meine Hand los, sonst – – –!«
»Was sonst?«
»Brauche ich Gewalt!«
»Brauche sie!«
»Da – – –!«
Er zog das Messer und stieß nach mir; ich aber griff von unten herauf und faßte nun auch seine zweite Hand.
»Schade um dich; denn du scheinst kein Feigling zu sein!«
Ich drückte ihm die Hand, daß er das Messer fallen ließ, hob dasselbe schnell auf und faßte ihn bei der Jacke.
»Nun vorwärts, sonst – –! Hier nimm meine Wäsche auf und trage sie!«
»Herr, thue es nicht!«
»Warum nicht?«
»Bist du ein Dschesidi?«
»Nein.«
»Warum willst du mich dann nach dem Dorfe schaffen?«
»Das will ich dir sagen: du bist ein türkischer Soldat, ein Spion.«
Er erbleichte.
»Du irrst, Herr! Wenn du kein Dschesidi bist, so laß mich frei!«
»Dschesidi oder nicht; vorwärts!«
Er krümmte sich unter meinem Griffe, aber er mußte mit. Ich zwang ihn sogar, meine Wäsche zu tragen. Wir erregten kein geringes Aufsehen, als wir das Dorf erreichten, und eine ziemliche Menschenmenge folgte uns nach der Wohnung des Beys. Er befand sich im Selamlük, wohin ich auch den Fremden schaffte. Unweit der Thüre stand, ohne daß der Gefangene ihn bemerkte, mein Baschi-Bozuk, der eine sehr überraschte Miene machte, als wir an ihm vorübergingen. Er mußte ihn kennen.
»Wen bringst du mir da?« fragte Ali Bey.
»Einen Fremden, den ich draußen am Bache fand. Er hatte sich versteckt, und zwar an einem Orte, von welchem aus er das ganze Dorf und auch den Weg nach Scheik Adi überblicken konnte.«
»Wer ist er?«
»Er behauptet, Lassa zu heißen und ein Dassini zu sein.«
»Dann müßte ich ihn kennen; auch giebt es keinen Dassini dieses Namens.«
»Er stach nach mir, als ich ihn zwang, mit mir zu gehen. Hier ist er. Thue mit ihm, was du willst!«
Ich verließ den Raum. Draußen stand der Buluk Emini noch.
»Kennst du den Mann, den ich jetzt brachte?«
»Ja. Was hat er gethan, Emir? Gewiß hast du ihn verkannt! Er ist kein Dieb und kein Räuber.«
»Was sonst?«
»Er ist Kol Agassibei meinem Regiment.«
Überzähliger Stabsoffizier zu Fuße.
»Ah! Wie heißt er?«
»Nasir. Wir nannten ihn Nasir Agassi. Er ist der Freund des
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