Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
einer zweiten Viertelstunde, während welcher uns dieselben hinter einem vor uns liegenden Bergrücken verschwunden waren, langten wir auf dem Letzteren an und sahen nun sehr deutlich, daß wir einen ziemlich langen Zug vor uns hatten. Von wem derselbe gebildet wurde, war von hier aus nicht zu unterscheiden; das aber bemerkten wir, daß er plötzlich verschwand und nicht wieder erschien.
»Gibt es dort wieder einen Hügel?«
»Nein. Hier ist Ebene,« antwortete Selek.
»Oder eine Vertiefung, ein Thal, in welchem diese Lichter verschwinden können?«
»Nein.«
»Oder ein Wald – – –«
»Ja, Emir,« fiel er schnell ein. »Dort, wo sie verschwunden sind, liegt ein kleines Olivenwäldchen.«
»Ah! Du wirst mit den Pferden hier bleiben und auf uns warten. Halef aber begleitet mich.«
»Herr, nimm mich auch mit,« bat Selek.
»Die Thiere würden uns verrathen.«
»Wir binden sie an!«
»Mein Rappe ist zu kostbar, als daß ich ihn ohne Aufsicht lassen dürfte. Und übrigens verstehst Du auch das richtige Anschleichen nicht. Man würde Dich hören oder gar sehen.«
»Emir, ich verstehe es!«
»Sei still!« meinte da Halef. »Auch ich dachte, ich verstände es, mich mitten in ein Duar zu schleichen und das beste Pferd wegzunehmen; aber als ich es vor dem Effendi machen mußte, habe ich mich schämen müssen wie ein Knabe! Aber tröste Dich, denn Allah hat nicht gewollt, daß aus Dir eine Eidechse werde!«
Wir ließen die Gewehre zurück und schritten voran. Es war gerade so licht, daß man auf fünfzig Schritte einen Menschen so leidlich erkennen konnte. Vor uns tauchte nach vielleicht zehn Minuten ein dunkler Punkt auf, dessen Dimensionen von Schritt zu Schritt zunahmen – das Olivenwäldchen. Als wir so weit heran waren, daß wir es in fünf oder sechs Minuten zu erreichen vermocht hätten, hielt ich an und lauschte angestrengt. Nicht der mindeste Laut war zu vernehmen.
»Gehe genau hinter mir, daß unsere Personen eine einzige Linie bilden!«
Ich hatte nur Jacke und Hose an, beide dunkel; auf dem Kopfe trug ich den Tarbusch, von dem ich das Turbantuch abgewunden hatte. So war ich nicht so leicht vom dunklen Boden zu unterscheiden. Mit Halef war ganz dasselbe der Fall.
Lautlos glitten wir weiter. Da vernahmen wir das Geräusch knackender Äste. Wir legten uns nun auf die Erde nieder und krochen langsam vorwärts. Das Knacken und Brechen wurde lauter.
»Man sammelt Äste, vielleicht gar, um ein Feuer zu machen.«
»Gut für uns, Sihdi!« flüsterte Halef.
Bald erreichten wir den hinteren Rand des Gehölzes. Das Schnauben von Thieren und Männerstimmen wurden hörbar. Wir lagen soeben hart neben einem dichten Buschwerke. Ich deutete auf dasselbe und sagte leise:
»Verbirg Dich hier, und erwarte mich, Halef.«
»Herr, ich verlasse Dich nicht; ich folge Dir!«
»Du würdest mich verrathen. Das unhörbare Schleichen ist in einem Walde schwieriger als auf offenem Felde. Ich habe Dich nur mitgenommen, um mir den Rückzug zu decken. Du bleibst liegen, selbst wenn Du schießen hörst. Wenn ich Dich rufe, so kommst Du so schnell wie möglich.«
»Und wenn Du weder kommst noch rufest?«
»So schleichst Du Dich nach einer halben Stunde vorwärts, um zu sehen, was mit mir geschehen ist.«
»Sihdi, wenn sie Dich tödten, so schlage ich Alle todt!«
Diese Versicherung hörte ich noch, dann war ich fort; aber noch hatte ich mich nicht sehr weit von ihm entfernt, so hörte ich eine laute, befehlende Stimme rufen:
»Et atesch – brenne an, mache Feuer!«
Diese Stimme kam aus einer Entfernung von vielleicht hundert Fuß. Ich konnte also unbesorgt weiter kriechen. Da vernahm ich das Prasseln einer Flamme und bemerkte zugleich einen lichten Schein, der sich zwischen den Bäumen fast bis zu mir verbreitete. Das erschwerte mir natürlich mein Vorhaben bedeutend.
»Taschlar atesch tschewresinde – lege Steine um das Feuer!« befahl dieselbe Stimme.
Diesem Befehle wurde jedenfalls sofort Folge geleistet, denn der lichte Schein verschwand, so daß ich nun besser vorwärts konnte. Ich schlich mich von einem Stamme zum andern und wartete hinter einem jeden, bis ich mich überzeugt hatte, daß ich nicht bemerkt worden sei. Glücklicher Weise war diese Vorsicht überflüssig; ich befand mich nicht in den Urwäldern Amerika’s, und die guten Leute, welche ich vor mir hatte, schienen nicht die mindeste Ahnung zu haben, daß es irgend einem Menschenkinde einfallen könne, sie zu belauschen.
So avancirte ich immer
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