Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
weiter, bis ich einen Baum erreichte, dessen Wurzeln so zahlreiche Schößlinge getrieben hatten, daß ich hinter denselben ein recht leidliches Versteck zu finden hoffte. Wünschenswerth war dies besonders deßhalb, weil ganz in der Nähe des Baumes zwei Männer saßen, auf die ich es abgesehen hatte, – zwei türkische Offiziere.
Mit einiger Vorsicht gelang es mir, mich hinter den Schößlingen häuslich niederzulassen, und nun konnte ich die Scene vollständig überblicken.
Draußen vor dem kleinen Gehölze standen – vier Gebirgskanonen oder vielmehr zwei Kanonen und zwei Haubitzen, und am Saume des Gehölzes waren ungefähr zwanzig Maulthiere angebunden, die zum Transporte dieser Geschütze erforderlich gewesen waren. Man braucht zu einem Geschütze gewöhnlich vier bis fünf Maulthiere; eins muß das Rohr, eins die Lafette und zwei bis vier müssen die Munitionskästen tragen.
Die Topdschi hatten es sich bequem gemacht; sie lagen auf dem Boden ausgestreckt und plauderten leise mit einander. Die beiden Offiziere aber wünschten Kaffee zu trinken und ihren Tschibuk zu rauchen; darum war ein Feuer gemacht worden, über welchem ein kleiner Kessel auf zwei Steinen stand. Der Eine der beiden Helden war ein Jüs Baschi und der Andere ein Mülasim. Der Jüs Baschi hatte ein recht biederes Aussehen; er kam mir grade so vor, als sei er eigentlich ein urgemüthlicher, dicker, deutscher Bäckermeister, der auf einem Liebhabertheater den wilden Türken spielen soll und sich dazu für anderthalbe Mark vom Maskenverleiher das Kostüm geliehen hat. Mit dem Mülasim war es ganz ähnlich. Just so wie er mußte eine sechzigjährige Kaffeeschwester aussehen, die auf den unbegreiflichen Backfischgedanken gerathen ist, in Pumphosen und Osmanly-Jacke auf die Redoute zu gehen. Es war mir ganz so, als müsse ich jetzt hinter dem Baume hervortreten und sie überraschen mit den geflügelten Worten:
»Schön’ guten Abend, Meister Mehlhuber; ‘pfehle mich, Fräulein Lattenstengel; ‘was Neues? Danke, danke, werde so frei sein!«
Freilich waren die Worte, welche ich zu hören bekam, etwas weniger gemüthlich. Ich lag ihnen so nahe, daß ich Alles hören konnte.
»Toplerimiz chosch – unsere Kanonen sind gut!« brummte der Jüs Baschi.
»Pek chosch – sehr gut!« flötete der Mülasim.
»Atar-iz, atar-iz hepsi – wir werden schießen, Alles niederschießen!«
»Hepsi – Alles!« ertönte das Echo.
»Japar-iz kazangdschü – wir werden Beute machen!«
»Tschok kazangdschü – viel Beute!«
»Oladschag-iz jijid – wir werden tapfer sein!«
»Pek jijid – sehr tapfer!«
»Binar-iz – wir werden befördert werden!«
»Jüksek, ghajet jüksek – hoch, äußerst hoch!«
»Tütar-iz sonra tütünü adschemli – dann rauchen wir Tabak aus Persien!«
»Tütünü schirazli – Tabak aus Schiras!«
»Ile itschar-iz kawehji arabli – und trinken Kaffee aus Arabien!«
»Kawehji mokkahli – Kaffee aus Mokka!«
»Dschesidiler gerek olar-lar ölmek hepsi – die Dschesidi müssen alle sterben!«
»Hepsi – alle!«
»Fenalar – die Bösewichter!«
»Oghanlar – die Buben!«
»Na paklar, utanmazlar – die Unreinen, die Unverschämten!«
»Kiöpekler – die Hunde!«
»Öldirar-iz onlari – wir werden sie tödten!«
»Jarin sabah tiz – morgen früh gleich!«
»Tabiatli, dir doghru – natürlich, das versteht sich!«
Ich hatte nun genug gesehen und gehört; darum zog ich mich zurück, erst langsam und vorsichtig, dann aber rascher. Ich erhob mich dabei sogar von der Erde, worüber Halef sich nicht wenig wunderte, als ich bei ihm ankam.
»Wer ist es, Sihdi?«
»Artilleristen. Komm; wir haben keine Zeit!«
»Gehen wir aufrecht?«
»Ja.«
Wir erreichten bald unsere Pferde, stiegen auf und kehrten zurück. Die Strecke nach Scheik Adi wurde jetzt natürlich viel schneller zurückgelegt, als vorhin. Wir fanden dort noch dasselbe rege Leben.
Ich hörte, daß Ali Bey sich beim Heiligthum befinde, und traf ihn mit dem Mir Scheik Khan in dem inneren Hofe desselben. Er kam mir erwartungsvoll entgegen und führte mich zum Khan.
»Was hast Du gesehen?« frug er.
»Kanonen!«
»Oh!« machte er erschrocken. »Wie viele?«
»Vier kleine Gebirgskanonen.«
»Welchen Zweck haben sie?«
»Scheik Adi soll damit zusammengeschossen werden. Während die Askeri von Baadri und Kaloni angreifen, soll die Artillerie jedenfalls da unten am Wasser spielen. Der Plan ist nicht schlecht, denn von dort aus läßt sich das ganze
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