Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
schnitt einige Ruthen ab. Die eine davon steckte ich in die Erde und stellte mich dann einige Schritte vorwärts von ihm auf.
»Kniee genau hinter dieser Ruthe nieder. Ich werde in der Richtung von ihr, in welcher der Stern wieder blitzt, eine zweite aufstecken. – Sahst Du ihn jetzt?«
»Ja. Ganz deutlich.«
»Wohin soll die Ruthe? Hierher?«
»Einen Fußbreit weiter nach rechts.«
»Hierher?«
»Ja; das ist genau.«
»So! Nun beobachte weiter!«
»Jetzt sah ich ihn wieder!« meinte er nach einer kleinen Weile.
»Wo? Ich werde eine dritte Ruthe stecken.«
Der Stern war nicht am alten Platze. Er war viel weiter links.
»Wie weit? Sage es!«
»Zwei Fuß von der vorigen Ruthe.«
»Hier?«
»Ja.«
Ich steckte die dritte Ruthe ein, und Ali Bey beobachtete weiter.
»Jetzt sah ich ihn wieder,« meinte er bald.
»Wo?«
»Nicht mehr links, sondern rechts.«
»Gut! Das war es, was ich Dir zeigen wollte. Jetzt magst Du Dich wieder erheben.«
Die andern hatten meinem sonderbaren Gebaren mit Verwunderung zugesehen, und auch Ali Bey konnte den Grund desselben nicht einsehen.
»Warum lässest Du mich dieses Sternes wegen rufen?«
»Weil es kein Stern ist!«
»Was sonst? Ein Licht?«
»Nun, wenn es nur ein Licht wäre, würde es schon merkwürdig sein; aber es ist eine ganze Reihe von Lichtern.«
»Woraus vermuthest Du dies?«
»Ein Stern kann es nicht sein, weil es tiefer steht, als die Spitze des Berges, der dahinter liegt. Und daß es mehrere Lichter sind, hast Du ja aus dem Experimente gesehen, das wir vorgenommen haben. Da drüben gehen oder reiten viele Leute mit Fackeln oder Laternen, von denen zuweilen die eine oder die andere herüberblitzt.«
Der Bey stieß einen Ausruf der Verwunderung aus.
»Du hast Recht, Emir!«
»Wer mag es sein?«
»Pilger sind es nicht, denn diese würden auf dem Wege von Baadri nach Scheik Adi kommen.«
»So denke an die Türken!«
»Herr! Wäre es möglich?«
»Das weiß ich nicht, denn diese Gegend ist mir unbekannt. Beschreibe sie mir, Bey!«
»Hier grad aus geht der Weg nach Baadri, und hier weiter links der nach Aïn Sifni. Theile diesen Weg in drei Theile; gehe das erste Drittel, so hast Du diese Lichter dann Dir zur Linken nach dem Wasser zu, welches von Scheik Adi kommt.«
»Kann man am Wasser entlang reiten?«
»Ja.«
»Und auf diese Weise nach Scheik Adi kommen?«
»Ja.«
»So ist ein großer, ein sehr großer Fehler vorgekommen!«
»Welcher?«
»Du hast Vorposten gestellt nach Baadri und Kaloni hin, aber nicht nach Aïn Sifni zu.«
»Dorther werden die Türken nicht kommen. Die Leute von Aïn Sifni würden es uns verrathen.«
»Aber wenn die Türken nicht nach Aïn Sifni gehen, sondern bei Dscheraijah den Khausser überschreiten und dann zwischen Aïn Sifni und hier das Thal zu erreichen suchen? Mir scheint, sie würden dann dieselbe Richtung nehmen, in welcher sich dort jene Lichter bewegen. Siehe, sie sind bereits wieder nach links vorgerückt!«
»Emir, Deine Vermuthung ist vielleicht die richtige. Ich werde sofort mehrere Wachen vorschicken!«
»Und ich werde mir einmal diese Sterne näher betrachten. Hast Du einen Mann, der diese Gegend genau kennt?«
»Niemand kennt sie besser als Selek.«
»Er ist ein guter Reiter; er soll mich führen!«
Wir stiegen so schnell wie möglich hinab. Der letztere Theil der Unterredung war von uns leise geführt worden, so daß niemand, und besonders auch der Baschi-Bozuk nicht, etwas davon vernommen hatte. Selek war bald gefunden; er erhielt ein Pferd und nahm seine Waffen zu sich. Auch Halef mußte mit. Ich konnte mich auf ihn mehr als auf jeden Andern verlassen. Zwanzig Minuten später, nachdem ich den Stern zuerst gesehen hatte, jagten wir auf dem Wege nach Aïn Sifni dahin. Auf der nächsten Höhe blieben wir halten. Ich musterte das Halbdunkel vor uns und sah endlich das Aufleuchten wieder. Ich machte Selek auf dasselbe aufmerksam.
»Emir, das ist kein Stern, das sind auch keine Fackeln, denn diese würden einen umfangreicheren Schein verbreiten. Das sind Laternen.«
»Ich muß hart an sie heran. Kennst Du die Gegend genau?«
»Ich werde Dich führen; ich kenne jeden Stein und jeden Strauch. Halte Dich nur hart hinter mir, und nimm Dein Pferd stets hoch!«
Er wandte sich von dem Wasser nach rechts, und nun ging es über Stock und Stein im Trabe vorwärts. Es war ein sehr böser Ritt, aber bereits nach einer reichlichen Viertelstunde konnten wir genau mehrere Lichter unterscheiden. Und nach
Weitere Kostenlose Bücher