Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
dem Kopfe.
Nach einer kleinen Pause machte der Dschesidi-Häuptling seinem vollen Herzen mit den Worten Luft:
»Wir haben gewonnen und dem Mutessarif eine nachhaltige Lehre ertheilt; merkst Du dies, Emir? Der Kaimakam soll diesen Brief erhalten, und morgen werde ich in Dscherraijah sein.«
»Wozu dem Kaimakam diese Zuschrift geben?«
»Sie gehört ihm.«
»Ist aber überflüssig, da er sich ja bereits verbindlich gemacht hat, das zu thun, was ihm hier geboten wird.«
»Er wird es um so sicherer und treuer thun, wenn er sieht, daß es auch der Wille des Mutessarif ist.«
»Ich muß Dir gestehen, daß dieser schriftliche Befehl meinen Verdacht erweckt.«
»Warum?«
»Weil er überflüssig ist. Und wie eigenthümlich klingen die letzten Worte, daß der Kaimakam den Befehl ja ganz genau lesen möge!«
»Dies soll uns von dem guten Willen des Mutessarif überzeugen und den Kaimakam zum pünktlichsten Gehorsam ermuntern.«
»Diese Pünktlichkeit ist selbstverständlich, und darum scheint mir der Befehl mehr als überflüssig.«
»Dieser Brief gehört nicht mir; der Gouverneur hat ihn meiner Ehrlichkeit anvertraut, und der Kaimakam soll ihn erhalten.«
Es war, als wolle der Zufall diesem Vorsatze des Bey seine ganz besondere Genehmigung ertheilen, denn gerade jetzt meldete ein eintretender Dschesidi:
»Herr, es kommt ein Reiter aus dem Thal herauf.«
Wir gingen hinaus und erkannten nach einiger Zeit in dem Nahenden den Kaimakam, der allerdings ohne alle Begleitung heraufgeritten kam. Wir erwarteten ihn im Freien.
»Seni selamlar-im – ich begrüße Dich!« sagte er beim Absteigen erst zum Bey und dann auch zu mir.
»Chosch geldin-sen, effendi – sei willkommen, Herr!« antwortete Ali. »Welcher Wunsch führt Dich zu mir?«
»Der Wunsch meiner Krieger, welche kein Brod zu essen haben.«
Das war ohne alle Einleitung gesprochen. Ali lächelte leise.
»Ich mußte das erwarten. Aber hast Du Dir gemerkt, daß ich Brod nur gegen Waffen verkaufe?«
»So sagtest Du; aber Du wirst dennoch Geld nehmen!«
»Was der Bey der Dschesidi sagt, das weiß er auch zu halten. Du brauchst Speise, und ich brauche Waffen und Munition. Wir tauschen, und so ist uns Beiden dann geholfen.«
»Du vergissest, daß ich die Waffen und die Munition selbst brauche!«
»Und Du vergissest, daß ich des Brodes selbst bedarf! Es sind viele tausend Dschesidi bei mir versammelt; sie Alle wollen essen und trinken. Und wozu brauchst Du die Waffen? Sind wir nicht Freunde?«
»Doch nur bis zum Schlusse des Waffenstillstandes!«
»Wohl auch noch länger. Emir, ich bitte Dich, ihm den Brief des Gouverneur einmal vorzulesen!«
»Ist ein Brief von ihm angekommen?« frug der Oberstlieutenant schnell.
»Ja. Ich sandte einen Boten, welcher jetzt zurückgekommen ist. Lies, Emir!«
Ich las das Schreiben, das ich noch bei mir hatte, vor. Ich glaubte, in der Miene des Kaimakam eine Enttäuschung zu bemerken.
»So wird also Friede zwischen uns werden!« meinte er.
»Ja,« antwortete der Bey. »Und bis dahin wirst Du Dich freundlich zu uns verhalten, wie Dir der Mutessarif noch besonders gebietet.«
»Besonders?«
»Er hat einen Brief beigelegt, den ich Dir geben soll.«
»Einen Brief? Mir?« rief der Offizier. »Wo ist er?«
»Der Emir hat ihn. Laß ihn Dir geben!«
Schon stand ich im Begriff, ihm das Schreiben hinzureichen; aber die Hast, mit welcher er danach langte, machte mich denn doch stutzig.
»Erlaube, daß ich ihn Dir vorlese!«
Ich las, aber nur bis zu der letzten Bemerkung, welche meinen Verdacht so sehr erregt hatte. Doch da frug er:
»Ist dies alles? Steht weiter nichts da?«
»Noch zwei Zeilen. Höre sie!«
Ich las nun bis zu Ende und hielt dabei den Blick halb auf ihn gerichtet. Nur einen kurzen Moment lang öffneten sich seine Augen weiter als gewöhnlich, aber ich wußte nun sicher, daß dieser Satz irgend eine uns unbekannte Bedeutung habe.
»Dieser Brief gehört mir. Zeige ihn her!«
Bei diesen Worten griff er so schnell zu, daß ich kaum Zeit behielt, meine Hand mit dem Papiere zurückzuziehen.
»Warum so eilig, Kaimakam?« frug ich, ihn voll ansehend. »Haben diese Zeilen etwas so sehr Wichtiges zu bedeuten, daß Du Deine ganze Selbstbeherrschung verlierst?«
»Nichts, gar nichts haben sie zu bedeuten; aber dieses Schreiben ist doch mein!«
»Der Mutessarif hat es dem Bey gesandt, und auf diesen allein kommt es an, ob er es Dir geben oder Dich nur mit dem Inhalte bekannt machen will.«
»Er hat es Dir ja
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