Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
daß wir dieselben nicht von denen des Miralai unterscheiden können!«
»Das ist ja nicht schwer! Dieser hier ist der ›Heilige‹, und dieser hier ist der Türke.«
»Woraus erkennst Du das? Kannst Du es beweisen?«
»So sicher, wie Ihr es nur wünschen möget. Der Pir hatte keine Waffen bei sich; der Miralai aber trug seinen Säbel, einen Dolch und zwei Pistolen. Seht Ihr die krumm gezogenen Pistolenläufe und die Messerklinge an diesem Körper kleben? Die Schäfte und der Griff sind verbrannt. Und hier grad unter ihm sieht die Säbelspitze aus der Asche heraus. Dieser ist also unbedingt der Miralai gewesen.«
Jetzt nun wunderten sich die Dschesidi, daß sie nicht selbst auch auf diesen so einfachen Gedanken gekommen waren. Sie Alle ohne Ausnahme stimmten meiner Ansicht bei und machten sich daran, die Reste des Pir in die Urne zu bringen.
Während des ganzen Vorganges hatte der Kaimakam mit mehreren seiner Offiziere in der Nähe gehalten. Ihm wurde die Leiche seines früheren Vorgesetzten überlassen, und dann kehrten wir wieder zur Höhe zurück. Dort bat Ali Bey den Khan um seine Befehle in Beziehung auf die Bestattungsfeierlichkeit.
»Wir müssen sie auf morgen verschieben,« antwortete dieser.
»Warum?«
»Pir Kamek war der Frömmste und der Weiseste unter den Dschesidi; er soll würdig bestattet werden, und dazu ist es heute zu spät. Ich werde anordnen, daß man ihm im Thale Idiz ein Grabmal errichte, und dieses kann erst Morgen fertig sein.«
»So wirst Du Duwardschi’s und Dägerler brauchen?«
»Nein. Wir werden einen einfachen Bau aus Felsblöcken errichten, der keines Kittes bedarf, und jeder Mann, jedes Weib und auch ein jedes Kind soll einen Stein dazu herbeibringen, je nach seinen Kräften, damit keiner der versammelten Pilger ausgeschlossen werde, dem Verwandelten das ihm gebührende Denkmal zu stiften.«
»Aber ich brauche die Krieger zur Bewachung der Türken!« wendete Ali Bey ein.
»Sie werden sich ablösen; dann stehen Dir immer genug von ihnen zu Gebote. Laß uns berathen, welche Gestalt wir dem Baue geben!«
Da ich hierbei unbetheiligt war, suchte ich meinen Dolmetscher auf, um mir das Manuscript des Verstorbenen geben zu lassen. Er hatte es in das Innere eines hohlen Thinarbaumes versteckt, und wir ließen uns in der Nähe desselben nieder, wo ich meinen Sprachübungen ungestört obliegen konnte.
Darüber verging der Tag, und der Abend kam heran. Auf den Höhen, welche das Thal von Scheik Adi umgaben, leuchtete ein Wachtfeuer neben dem andern auf. Es war den Türken unmöglich, zu entkommen, selbst wenn der Kaimakam gegen sein Versprechen die Nacht zu einem Durchbruche hätte benutzen wollen. Die Zeit der Dunkelheit verging ohne alle Störung, und am Morgen kehrte Pali zurück. Die Schnelligkeit und Ausdauer seines guten Pferdes hatte die Entfernung zwischen Scheik Adi und Mossul bedeutend abgekürzt. Ich hatte in dem Zelte des Bey geschlafen und befand mich noch dort, als der Bote eintrat.
»Hast Du den Mutessarif getroffen?« frug ihn Ali.
»Ja, Herr; noch spät am Abend.«
»Was sagte er?«
»Erst wüthete er und wollte mich todt peitschen lassen. Dann ließ er viele Offiziere und seinen Diwan effendisi kommen, mit denen er sich lange Zeit berathen hat. Dann durfte ich zurückkehren.«
»Bei dieser Berathung warest Du nicht zugegen?«
»Nein.«
»Welche Antwort hast Du erhalten?«
»Einen Brief an Dich.«
»Zeige ihn!«
Pali zog ein Schreiben hervor, welches mit dem großen Möhür mutessarifün (5) Siegel der Satthalterschaft”> verschlossen war. Ali Bey öffnete und betrachtete die Zeilen. In dem großen Schreiben lag ein kleiner, offener Brief. Er reichte mir beide Schriftstücke.
»Lies Du, Emir! Ich bin begierig, zu erfahren, was der Mutessarif beschlossen hat.«
Die Zuschrift war von dem Schreiber des Statthalters verfaßt und von dem Letzteren unterzeichnet worden. Er versprach, am andern Morgen mit zehn Mann Begleitung, in Dscherraijah zu sein, und stellte die Bedingung, daß Ali Bey auch nur von einer so geringen Anzahl begleitet werde. Er erwartete, daß der Ausgleich ein friedlicher sein werde, und bat, dem Kaimakam den inneliegenden schriftlichen Befehl zu übergeben. Dieser enthielt die allerdings sehr friedliche Weisung, bis auf Weiteres jede Feindseligkeit einzustellen, den Ort Scheik Adi zu schonen und die Dschesidi als Freunde zu behandeln. Angeschlossen war dann die Bemerkung, diesen Befehl recht genau zu lesen.
Ali Bey nickte befriedigt mit
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