Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
zur Seite, um dem Mutesselim den Vortritt zu lassen. Aus dem Gürtel desselben blickte der Schlüssel hervor. Die Augen des Gefangenen leuchteten auf. Er that einen Sprung, riß den Schlüssel heraus, warf den Commandanten auf den Agha, daß Beide taumelnd an mich flogen und ich fast niedergerissen wurde, sprang zur Thüre hinaus und eilte den finsteren Gang hinauf. Die Lampe war umgestürzt, und Finsterniß umhüllte auch uns.
»Ihm nach!« rief der Commandant.
Der Makredsch wäre gerettet gewesen, wenn er die Geistesgegenwart gehabt hätte, die Thüre hinter sich zuzuwerfen und den Riegel vorzuschieben. Zeit dazu hätte er gehabt, denn die beiden Männer verwirrten sich in einander, so daß ich, um schnell hinauszukommen, sie fassen und von der Thüre zurückschleudern mußte.
Schon hörte ich den Schlüssel im Schlosse klirren. Der Umstand, daß die Thüre bereits von mir geöffnet war, wurde dem Makredsch verderblich. Er wandte die Kraft der Verzweiflung an, mittels des Schlüssels den Riegel zurückzubewegen, ohne das Öffnen der Thüre zu versuchen. Der Riegel aber konnte nicht nachgeben. Jetzt war ich dort und faßte ihn. Er hatte sich gegen mich gewendet und die Vorsicht gebraucht, nach meinem Gürtel zu langen. Ich fühlte dies und griff nieder. Es war ihm gelungen, mein Messer zu ergreifen, denn die Schneide desselben strich, mich verwundend, über die Außenfläche meiner Hand hinweg. Es war so dunkel, daß ich seine Bewegungen nicht sehen konnte. Ich griff ihm also, indem ich ihn mit der Rechten fest hielt, mit der Linken nach seiner rechten Achsel und fuhr von derselben aus längs des Armes herab, um sein Handgelenk zu fassen. Es war grad die rechte Zeit gewesen, denn er hatte bereits den Arm erhoben, um zuzustoßen.
Mittlerweile waren die beiden anderen schreiend bei uns angekommen. Der Commandant packte mich an.
»Lasse los, Mutesselim, ich bin es ja!«
»Hast Du ihn fest?«
»Ja. Schließe die Thüre schnell zu, und brenne Licht an. Er kann uns nicht entkommen!«
»Kannst Du ihn allein halten, Emir?« frug der Agha.
»Ja.«
»So werde ich Licht holen!«
Der Commandant verschloß die Thüre, getraute sich dann aber nicht, uns nahe zu kommen. Ich hatte den Gefangenen an die gegenüberliegende Wand gebracht, konnte ihn aber nicht zu Boden drücken, weil ich die Hand nicht frei bekam, welche mich vor dem Messer zu schützen hatte. Ich hielt ihn aber fest, bis nach einer sehr langen Zeit der Agha mit Licht erschien. Er hatte erst oben bei dem Sergeanten Öl holen müssen. Er stellte die Lampe auf eine der Treppenstufen und kam dann herbei.
»Nimm ihm das Messer,« bat ich.
Er entriß es ihm, und nun hatte ich freie Hand. Ich faßte den Makredsch bei der Brust. Er griff nach mir, aber augenblicklich bückte ich mich, und während seine beiden Hände in die Luft langten, faßte ich ihn am Unterbeine und riß dasselbe empor, so daß er das Gleichgewicht verlor und niederstürzte.
»Bindet ihn!« sagte ich.
»Womit?«
»Mit seinem Gürtel.«
Sie thaten es. Er lag still und ruhig und ließ es geschehen. Nach der großen Anstrengung war das Gefühl seiner Ohnmacht über ihn gekommen.
»Halte ihm die Beine!« gebot der Mutesselim dem Agha.
Der Erstere leerte nun vor allen Dingen die Taschen des Gefangenen; dann zog er ihm auch die Ringe ab und steckte Alles zu sich. Hierauf packte der Agha den Gefangenen bei einem der Beine und zog ihn bis vor seine Zelle, in welche er ihn hinabgleiten ließ. Dann wurde dieselbe zugeschlossen. Nun mußte Selim hinauf, um die Wächter frei zu lassen und ihnen die größte Wachsamkeit einzuschärfen.
»Nimm ihnen den Schlüssel zum Thore ab!« rief ihm der Commandant zu. »Dann kann Niemand öffnen, und auch sie nicht.«
Selim that dies, und dann verließen wir das Gefängniß.
Draußen blieb der Mutesselim stehen. Er war jetzt vollständig ernüchtert, indem er sagte:
»Agha, ich werde nun das Verzeichniß von Allem anfertigen, was der Makredsch einstecken hatte; denn ich habe Alles mit ihm nach Mossul zu senden. Du wirst es unterzeichnen, damit ich beweisen kann, daß ich die Wahrheit geschrieben habe, falls ihm einfallen sollte, zu behaupten, daß er mehr gehabt habe!«
»Wann soll ich kommen?« fragte Selim.
»Zur gewöhnlichen Zeit.«
»Und den Schlüssel behältst Du?«
»Ja. Vielleicht gehe ich des Nachts noch einmal hieher. Gute Nacht, Emir! Du warst mir heute von großem Nutzen und wirst mir sagen, wie ich Dir dankbar sein kann.«
Er ging, und
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