Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
wir wandten uns unserer Wohnung zu.
»Effendi!« meinte der Agha mit sehr bedenklicher Stimme.
»Was?«
»Ich hatte siebentausend Piaster am Boden liegen!«
»Und freutest Dich darauf?«
»Sehr!«
»Laß sie Dir geben!«
»Ich? Geben? Weißt Du, wie es morgen sein wird?«
»Nun?«
»Er wird ein Verzeichniß aufstellen, in welchem steht, daß der Makredsch tausend Piaster bei sich gehabt hat, und ich werde es unterschreiben. Das Übrige, die Uhr und die Ringe behält er zurück, und ich werde dafür die große Summe von hundert Piastern erhalten.«
»Und wirst Dich auch darüber freuen!«
»Zu Tode ärgern werde ich mich!«
»Das Verzeichniß erhält der Basch Tschausch?«
»Ja.«
»So wirst Du mehr erhalten.«
»Wer sollte es mir geben?«
»Der Mutesselim oder ich.«
»Ich weiß, daß Du ein barmherziges Herz besitzest. Oh Effendi, wenn Du nur wenigstens noch ein wenig von Deiner Arznei übrig hättest!«
»Ich habe noch davon. Willst Du sie haben?«
»Ja.«
»Ich werde Dir davon in die Küche bringen.«
Wir fanden die Thüre nicht verschlossen. In der Küche lag die ›Myrte‹ auf einigen alten Fetzen, die ihr des Tages als Hadern und des Nachts als Lager dienten, und schlief den Schlaf der Gerechten.
»Mersinah!« rief der Agha.
Sie hörte nicht.
»Laß sie schlafen,« bat ich. »Ich werde Dir die Arznei bringen, und dann magst Du Dich zur Ruhe begeben, die Du so nöthig brauchst.«
»Allah weiß es, daß ich sie verdient habe!«
Ich fand oben die Betheiligten alle in der Stube des Haddedihn versammelt. Sie brachten mir einen zu lauten Schwall von Worten entgegen, so daß ich Ruhe gebieten mußte. Ich befriedigte zunächst den Agha und überzeugte mich, daß er schlafen ging; dann kehrte ich zu ihnen zurück.
Amad el Ghandur hatte die neue Kleidung angelegt und war von seinem Vater rasirt und gereinigt worden. Nun bot er einen ganz anderen Anblick dar, als vorher in der Zelle. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater war ganz unverkennbar. Er hatte sich erhoben und trat mir entgegen.
»Emir, ich bin ein Beni Arab und kein plaudernder Grieche. Ich habe gehört, was Du meinem Stamme und mir gethan. Mein Leben gehört Dir, auch Alles, was ich habe!«
Das war einfach gesprochen, aber es kam aus einem vollen Herzen.
»Noch bist Du nicht in Sicherheit. Mein Diener wird Dich in Dein Versteck bringen.«
»Ich bin bereit. Wir warteten nur auf Dich.«
»Kannst Du klettern?«
»Ja. Ich werde das Versteck erreichen, trotzdem ich schwach geworden bin.«
»Hier hast Du meinen Lasso. Wenn Dir die Kräfte fehlen, so mag Hadschi Halef Omar voranklettern und Dich ziehen. Hast Du Waffen?«
»Dort liegen sie; der Vater hat sie mir gekauft. Hier hast Du Deinen Dolch. Ich danke Dir!«
»Und Nahrung?«
»Es ist Alles eingepackt.«
»So geht! Wir werden Dich bald abholen.«
Der Sohn des Scheik verließ mit Halef vorsichtig das Haus, und bald schlich auch ich mich fort. Ich hatte seine alten Kleider am Arme. Ich gelangte unbemerkt in die Nähe der Schlucht, riß den Haïk in Fetzen und hing dieselben an die Felskanten und Zweige des Gestrüppes, welches dort stand.
Zu Hause angekommen, wurde ich von dem Engländer in seine Stube geführt. Er hatte ein sehr zorniges Angesicht.
»Herein kommen und setzen, Sir!« sagte er. »Schlechte Wirthschaft! Miserabel hier!«
»Warum?«
»Sitze bei diesen Arabern und verstehe kein Wort! Mein Wein wird alle, mein Tabak wird alle, und ich werde auch alle! Yes!«
»Ich stehe Euch ja zu Diensten, um Alles zu erzählen!«
Ich mußte ihm seinen Willen thun, obgleich ich mich nach Ruhe sehnte. Doch hätte ich immerhin erst Halef’s Rückkehr erwarten müssen. Dieser ließ sehr lange auf sich warten, und als er kam, begann bereits der Tag zu grauen.
»Wie ist’s?« frug Master Lindsay. »Glücklich angekommen auf Villa?«
»Mit einiger Mühe!«
»Well! Halef hat Kleider zerrissen. Hier, Halef, Bakschisch!«
Der Hadschi verstand die englischen Worte nicht, wohl aber das letzte des Satzes. Er streckte die Hand aus und erhielt ein Hundertpiasterstück.
»Neuen Mantel kaufen; sagt es ihm, Sir!« – – –
So war denn dieser schlimme Abend vorüber, und ich konnte mich, wenigstens für einige Stunden, zur Ruhe legen, die ich denn auch in einem sehr tiefen, traumlosen Schlafe genoß. Ich erwachte nicht von selbst aus demselben, sondern es weckte mich eine sehr laute hastige Stimme:
»Effendi! Emir! Wache auf! Schnell!«
Ich blickte von meinem Lager empor. Selim
Weitere Kostenlose Bücher