Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
steif wie ein Klotz.
Die Umstehenden wichen scheu zurück; Einer aber rief:
»Er hat ihn erschlagen!«
»Ich habe ihn betäubt,« antwortete ich. »Werft ihn in das Wasser, so wird er die Besinnung bald wieder finden.«
»Chodih, was hast Du gethan!« erscholl es hinter mir.
Ich wandte mich um und erblickte den Melek, welcher soeben aus der Thür getreten war.
»Ich?« frug ich. »Hast Du diesen Mann nicht vor mir gewarnt? Er schlug dennoch nach mir. Sage ihm, er soll es ja nicht wieder thun, sonst werden seine Töchter weinen, seine Söhne klagen und seine Freunde trauern.«
»Ist er nicht todt?«
»Nein. Beim nächsten Male aber wird er todt sein.«
»Herr, Du bereitest Deinen Feinden Ärger und Deinen Freunden Sorge. Wie soll ich Dich schützen, wenn Du Dich nach immerwährendem Kampfe sehnst?«
»Sage dies dem Raïs, denn es ist sehr wahrscheinlich, daß Du zu schwach bist, ihn vor meinem Arme zu beschützen. Erlaubst Du ihm, mich zu beleidigen, so gib nicht mir die Schuld, wenn ich ihn Anstand lehre.«
»Herr, gehe fort; er kommt jetzt wieder zu sich!«
»Soll ich vor einem Manne fliehen, den ich niedergeschlagen habe?«
»Er wird Dich tödten!«
»Pah! Ich werde keine Hand zu rühren brauchen. Passe auf!«
Meine Gefährten hatten von ihrer offenen Wohnung aus den ganzen Vorgang mit angesehen. Ich winkte ihnen mit dem Auge, und sie wußten, was ich von ihnen begehrte.
Man hatte den Kopf des Raïs mit Wasser gewaschen. Jetzt richtete er sich langsam empor. Auf einen Faustkampf durfte ich es nicht ankommen lassen, denn sowohl mein Arm, mit welchem ich seinen Hieb parirt hatte, als auch meine rechte Hand war in den wenigen Augenblicken ganz beträchtlich angeschwollen; ich mußte froh sein, daß mir dieser Goliath nicht den Arm zerschmettert hatte. – Jetzt erblickte er mich, und mit einem heiseren Wuthschrei stürzte er auf mich zu. Der Melek suchte ihn zu halten; auch einige Andere griffen zu, aber er war stärker als sie und rang sich los. Jetzt wandte ich das Gesicht nach dem Hause hin und rief ihm zu:
»Nedschir-Bey, blicke da hinauf!«
Er folgte der Richtung meiner Augen und sah die Gewehre aller meiner Gefährten auf sich gerichtet. Er hatte doch genug Besinnung, um diese Sprache zu verstehen. Er blieb halten und erhob die Faust.
»Mann, Du begegnest mir wieder!« drohte er.
Ich zuckte nur die Achsel, und er ging davon.
»Chodih,« meinte der noch vor Anstrengung keuchende Melek, »Du befandest Dich in einer großen Gefahr!«
»Sie war sehr klein. Ein einziger Blick hinauf nach meinen Leuten hat diesen Mann unschädlich gemacht.«
»Hüte Dich vor ihm!«
»Ich bin Dein Gast. Sorge dafür, daß er mich nicht beleidigt!«
»Man sagte mir, daß Du mich suchest?«
»Ja. Ich wollte Dich fragen, ob ich frei in Lizan umhergehen kann.«
»Du kannst es.«
»Aber Du wirst mir eine Begleitung geben?«
»Nur zu Deiner Sicherheit.«
»Ich verstehe Dich und füge mich darein. Wer wird mein Aufseher sein?«
»Nicht Aufseher, sondern Beschützer, Chodih. Ich gebe einen Karuhja an Deine Seite.«
Also einen Vorleser, einen Geistlichen! Das war mir ganz lieb und recht.
»Wo ist er?« frug ich.
»Hier im Hause wohnt er bei mir. Ich werde ihn Dir senden.«
Er trat in das Innere des Gebäudes, und bald darauf kam ein Mann heraus, welcher in den mittleren Jahren stand. Er trug zwar die gewöhnliche Kleidung dieser Gegend, aber in seinem Wesen hatte er etwas an sich, was auf seinen Beruf schließen ließ. Er grüßte mich sehr höflich und frug nach meinem Begehr.
»Du sollst mich auf meinem Weg begleiten!« sagte ich.
»Ja, Herr. Der Melek will es so.«
»Ich wünsche vor allen Dingen, mir Lizan anzusehen. Willst Du mich führen?«
»Ich weiß nicht, ob ich darf, Chodih. Wir erwarten jeden Augenblick die Nachricht von dem Eintreffen der Berwarikurden, welche kommen werden, um Euch und ihren Bey zu befreien.«
»Ich habe versprochen, Lizan nicht ohne den Willen des Melek zu verlassen. Ist Dir dies genug?«
»Ich will Dir trauen, obgleich ich verantwortlich bin für Alles, was Du während meiner Gegenwart unternimmst. Was willst Du zunächst sehen?«
»Ich möchte den Berg besteigen, von welchem Beder-Khan-Bey die Chaldani herabstürzen ließ.«
»Es ist sehr schwer, emporzukommen. Kannst Du gut klettern?«
»Sei ohne Sorge!«
»So komm und folge mir!«
Während wir gingen, beschloß ich, den Karuhja nach seinen Religionsverhältnissen zu fragen. Ich war mit denselben so wenig vertraut,
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