Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
gar nicht einzunehmen waren. Nun aber haben die Kurden das Gebirge bereits hinter sich und sind Dir überlegen.«
»Wir werden kämpfen!«
»Hier?«
»Nein, in der Ebene von Lizan.«
»Dort also willst Du sie empfangen?« frug ich verwundert.
»Ja,« antwortete er zögernd.
»Und Du stehst noch hier mit Deinen Leuten?«
»Wir müssen ja erst unser Hab und Gut und die Unsrigen retten, ehe wir fort können!«
»O Melek, was seid Ihr Chaldini für große Krieger! Seit gestern wußtet Ihr, daß die Kurden kommen würden, und habt nichts gethan, um Euch zu sichern. Ihr wollt mit ihnen kämpfen und sprecht doch davon, die Euren und Euer Eigenthum zu flüchten. Ehe Ihr damit fertig seid, ist der Feind bereits in Lizan. Gestern habt Ihr die Kurden überrascht, und darum wurden sie besiegt; heut aber greifen sie selbst Euch an und werden Euch verderben!«
»Herr, das mögen wir nicht hören!«
»So werdet Ihr es erfahren. Lebwohl, und thue, was Du willst!«
Ich machte Miene, in das Haus zu treten; er aber hielt mich am Arme zurück.
»Chodih, rathe uns!«
»Ich kann Euch nicht rathen; Ihr habt mich vorher auch nicht um Rath gefragt.«
»Wir werden Dir dankbar sein!«
»Das ist nicht nothwendig; Ihr sollt nur vernünftig sein. Wie kann ich Euch beistehen, diejenigen Männer zu besiegen, welche herbeigekommen sind, um mich und meine Gefährten zu befreien?«
»Ihr seid ja nur meine Gäste, nicht aber meine Gefangenen!«
»Auch der Bey von Gumri?«
»Herr, dränge mich nicht!«
»Nun wohl, ich will nachgiebiger sein, als Ihr es verdient. Eilt dem Feinde entgegen und nehmt eine Stellung, an welcher er nicht vorüber kann. Die Kurden werden nicht angreifen, sondern einen Boten senden, der sich zuvor nach uns erkundigen soll. Diesen Boten bringt hierher, und dann will ich Euch meinen Rath ertheilen.«
»Gehe lieber mit, Chodih!«
»Das werde ich gern thun, wenn Ihr mir erlaubt, meinen Diener Halef mitzunehmen, der dort hinter der Mauer bei den Pferden ist.«
»Ich erlaube es,« sagte der Melek.
»Aber ich erlaube es nicht,« entgegnete der Raïs.
Es entspann sich jetzt ein kurzer, aber heftiger Streit, in welchem schließlich der Melek Recht behielt, da die Andern alle auf seiner Seite standen. Der Raïs warf mir einen wüthenden Blick zu, sprang auf sein Pferd und ritt davon.
»Wo willst Du hin?« rief ihm der Melek nach.
»Das geht Dich nichts an!« scholl es zurück.
»Eilt ihm nach, und beschwichtigt ihn,« bat der Melek die Andern, während ich Halef rief, mein Pferd und das seinige bereit zu machen.
Dann stieg ich in unsern Raum hinauf, um die Gefährten zu instruiren.
»Was ist los?« frug der Engländer.
»Die Kurden von Gumri kommen, um uns zu befreien,« antwortete ich.
»Sehr gut! Yes! Brave Kerls! Meine Flinte her! Werde mit dreinschlagen! Well!«
»Halt, Sir David! Für’s Erste werdet Ihr noch ein wenig hier bleiben und meine Rückkehr erwarten.«
»Warum? Wo wollt Ihr hin?«
»Hinaus, um zu unterhandeln und die Sache vielleicht im Guten beilegen zu helfen.«
»Pshaw! Sie werden wenig Kram mit Euch machen. Sie werden Euch erschießen! Yes!«
»Das ist höchst unwahrscheinlich.«
»Darf ich nicht mit?«
»Nein. Nur ich und Halef.«
»So geht! Aber wenn Ihr nicht wiederkommt, schlage ich ganz Lizan in Grund und Boden! Well!«
Auch die Andern fügten sich. Nur der Bey machte eine Bedingung:
»Chodih, Du wirst nichts ohne meinen Willen thun?«
»Nein. Ich werde entweder selbst kommen oder Dich holen lassen.«
Damit nahm ich meine Waffen, stieg hinab und sprang in den Sattel. Der Platz vor dem Hause war leer geworden. Nur der Melek wartete auf mich, und einige Bewaffnete waren geblieben, um die gefangenen ›Gäste‹ zu bewachen.
Wir mußten die gebrechliche Brücke wieder passiren. Drüben auf der andern Seite des Stromes ging es wirr zu. Landesvertheidiger zu Fuß und zu Roß ritten und liefen bunt durch einander. Der Eine hatte eine alte Flinte, der Andere eine Keule. Ein Jeder wollte commandiren, aber nicht gehorchen. Dazu war das Terrain mit Felsen, Bäumen und Büschen besetzt, und bei jedem Schritte hörte man eine andere Neuigkeit von den Kurden. Zuletzt kam gar die Kunde, daß der Raïs von Schuhrd mit seinen Leuten davongezogen sei, weil sich der Melek mit ihm gestritten hatte.
»Herr, was thue ich?« frug der Melek in nicht geringer Sorge.
»Suche zu erfahren, wo sich die Kurden befinden.«
»Das habe ich ja bereits gethan, aber ein Jeder bringt mir eine andere
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