Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
und befand mich bald ganz allein, da auch Dojan zurückgeblieben war.
Meine Aufgabe schien mir gar nicht schwierig zu sein. Von den Kurden hatte ich wohl nichts zu fürchten, und da sie Rücksicht auf das gefährdete Leben ihres Bey’s zu nehmen hatten, so ließ sich erwarten, daß ein Vergleich zu Stande kommen werde.
So ritt ich langsam vorwärts und horchte auf jedes Geräusch. Ich gelangte auf den Rücken einer niedrigen Bodenwelle, wo Wald und Busch weniger dicht standen, und erblickte von hier aus einen Krähenschwarm, welcher weiter unten über dem Walde schwebte, sich zuweilen auf die Zweige niederlassen wollte, aber immer wieder aufflog. Es war gewiß, daß diese Vögel aufgestört wurden, und ich wußte nun, wohin ich mich zu wenden hatte. Ich ritt den kleinen Hügel hinab, war aber noch gar nicht weit gekommen, als ein Schuß fiel, dessen Kugel jedenfalls mir gelten sollte; sie traf aber nicht. Im Nu schnellte ich mich vom Pferde und stellte mich hinter dasselbe. Ich hatte den Blitz des Pulvers gesehen und wußte also, wo der ungeschickte Schütze stand.
»Kur’o, thue Dein Kirbit zur Seite!« rief ich. »Du triffst ja eher Dich als mich!«
»Fliehe, sonst bist Du des Todes!« klang es mir entgegen.
»Ehz be vïa kenïam – darüber muß ich lachen! Welcher Mann schießt seine Freunde todt?«
»Du bist nicht unser Freund; Du bist ein Nasarah!«
»Das wird sich finden. Du gehörst zu den Vorposten der Kurden?«
»Wer sagt Dir das?«
»Ich weiß es; führe mich zu Deinem Anführer!«
»Was willst Du dort?«
»Mein Gastfreund, der Bey von Gumri, sendet mich zu ihm.«
»Wo ist der Bey?«
»In Lizan gefangen.«
Während dieser Verhandlung bemerkte ich recht wohl, daß noch mehrere Gestalten herbeikamen, die aber hinter den Bäumen verborgen bleiben wollten. Der Kurde frug weiter:
»Du nennst Dich den Gastfreund des Bey. Wer bist Du?«
»Ein Emir gibt nur einem Emir Auskunft. Führe mich zu Deinem Anführer, oder bringe ihn her zu mir. Ich habe als Bote des Bey mit ihm zu reden.«
»Herr, gehörst Du zu den fremden Emirs, die auch gefangen worden sind?«
»So ist es.«
»Und bist Du wirklich kein Ka’in, Herr?«
»Katischt, baqua – was, Du Frosch!« rief da laut eine andere Stimme. »Siehst Du denn nicht, daß es der Emir ist, welcher ohne Aufhören schießen kann? Gehe zur Seite, Du Wurm, und laß mich hin zu ihm!«
Zugleich kam ein junger Kurde hinter einem Baume hervor und trat mit größter Ehrerbietung zu mir heran.
»Allahm d’allah – Gott sei Dank, daß ich Dich wiedersehe, Herr! Wir haben große Sorge um Euch gehabt.«
Ich erkannte sogleich in ihm einen der Männer, welche gestern dem Melek glücklich entkommen waren, und antwortete:
»Man hat uns wieder ergriffen, aber wir befinden uns wohl. Wer ist Euer Anführer?«
»Der Raïs von Dalascha, und bei ihm ist der tapfere Emir der Haddedihn vom Stamme der Schammar.«
Das war mir lieb, zu hören; also hatte Mohammed Emin doch, wie ich vermuthet hatte, den Weg nach Gumri gefunden und kam nun, uns zu befreien.
»Ich kenne den Raïs von Dalascha nicht,« sagte ich. »Führe mich zu ihm!«
»Herr, er ist ein großer Krieger. Er kam gestern am Abend, um den Bey zu besuchen, und da er hörte, daß dieser gefangen sei, so schwur er, Lizan der Erde gleich zu machen und alle seine Bewohner in die Hölle zu senden. Jetzt ist er unterwegs, und wir gehen voran, damit er nicht überrumpelt wird. Aber Herr, wo hast Du Dein Pferd? Hat man es Dir geraubt?«
»Nein, ich ließ es freiwillig zurück. Doch komm, und führe mich!«
Ich nahm mein Thier am Zügel und folgte ihm. Wir waren nicht viel über tausend Schritte gegangen, so stießen wir auf eine Gruppe von Reitern, unter denen ich zu meiner großen Freude Mohammed Emin erblickte. Er befand sich zu Pferde und erkannte auch mich sofort.
»Hamdullillah,« rief er, »Preis sei Gott, der mir die Gnade gibt, Dich wiederzusehen! Er hat Dir den Pfad erleuchtet, daß es Dir glückte, diesen Nasarah zu entkommen. Aber,« – fügte er erschrocken hinzu – »Du bist entflohen, ohne Dein Pferd mitzunehmen?«
Dies war ihm ein ganz unmöglicher Gedanke, und ich beruhigte ihn auch auf der Stelle:
»Ich bin nicht entflohen, und das Pferd gehört noch mir. Es befindet sich in der Obhut von Hadschi Halef Omar, bei dem es sicher ist.«
»Du bist nicht entflohen?« frug er erstaunt.
»Nein. Ich komme als der Abgesandte des Bey von Gumri und des Melek von Lizan. Wo ist der Mann, der hier zu
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