Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
gebieten hat?«
»Ich bin es,« antwortete eine tiefe Stimme.
Ich sah mir den Mann scharf an. Er saß auf einem starkknochigen, zottigen Pferde, das nur mit Palmenfaser aufgezäumt war. Er war sehr lang und außerordentlich hager gebaut. Ein ungeheurer Turban bedeckte seinen Kopf, und sein Angesicht starrte von einem so borstigen und dichten Bart, daß man nur die Nase und zwei Augen erblickte, die mich jetzt unheimlich forschend anfunkelten.
»Du bist der Raïs von Dalascha?« frug ich ihn.
»Ja. Wer bist Du?«
Mohammed Emin antwortete an meiner Stelle:
»Es ist Kara Ben Nemsi Emir, von dem ich Dir erzählt habe.«
Der Kurde grub seinen Blick abermals tief in den meinigen und es schien dann, als ob er sich im Klaren über mich befände. Er sagte:
»Er soll uns später erzählen und mag sich uns jetzt anschließen. Vorwärts!«
»Laß halten; ich habe mit Dir zu sprechen,« bat ich.
»Schweig!« fuhr er mich an. »Ich bin der General dieser Truppen, und was ich sage, das hat ohne Widerrede zu geschehen. Ein Weib redet, ein Mann aber handelt. Jetzt wird nicht geplaudert!«
Ich war nicht gewohnt, in einem solchen Tone mit mir reden zu lassen. Auch Mohammed Emin gab mir unbemerkt einen aufmunternden Wink. Der Raïs war bereits einige Schritte fort; ich trat vor und griff seinem Pferde in die Zügel.
»Halt! Bleib! Ich bin der Abgesandte des Bey!« warnte ich ihn mit ernster Stimme.
Ich habe immer gefunden, daß ein furchtloses Wesen, unterstützt durch ein wenig Leibesstärke, diesen halbwilden Leuten imponirt. Hier aber schien es, daß ich mich verrechnen sollte; denn der Mann erhob die Faust und drohte:
»Mensch, die Hand vom Pferde, sonst schlag’ ich!«
Ich erkannte, daß meine Sendung vollständig verunglückt sei, wenn ich mich nur im Geringsten von ihm einschüchtern ließe. Darum ließ ich wohl mein Pferd fahren, nicht aber das seinige, und antwortete:
»Ich bin hier an Stelle des Bey von Gumri und habe zu befehlen; Du aber bist nichts als ein kleiner Kiaja, der augenblicklich zu gehorchen hat. Steige ab!«
Da riß er die Flinte von der Schulter, faßte sie beim Laufe und wirbelte sie um den Kopf.
»Ker, seri te tschar tan kim,« brüllte er, »ich spalte Dir den Kopf in vier Theile, Du Dummkopf!«
»Versuche es, doch zuerst gehorche!« entgegnete ich lachend.
Mit einem raschen Ruck riß ich sein Pferd auf die Hinterbeine nieder und schlug dem Thiere dann den Fuß mit solcher Gewalt an den Bauch, daß es erschrocken wieder emporprallte. Diese beiden Bewegungen folgten so schnell aufeinander, daß der Kiaja augenblicklich abgeschleudert wurde. Ehe er sich erheben konnte, hatte ich ihm die Flinte und das Messer entrissen und erwartete seinen Angriff.
»Sa – Hund!« brüllte er, indem er emporschnellte und sich auf mich warf; »ich zermalme Dich!«
Er sprang auf mich ein; ich hob nur den Fuß bis zur Gegend seiner Magengrube – ein Tritt und er überschlug sich rückwärts zur Erde nieder. Nun nahm ich sein eigenes Gewehr empor und zielte auf ihn.
»Mann, bleib weg von mir, sonst schieße ich!« gebot ich ihm.
Er raffte sich empor, hielt sich die Magengegend und blickte mich mit wuthfunkelnden Augen an, wagte aber doch keinen Angriff mehr.
»Gib mir meine Waffen!« grollte er drohend.
»Später, wenn ich mit Dir gesprochen habe!«
»Ich habe nichts mit Dir zu sprechen!«
»Aber ich mit Dir, und ich bin gewohnt, mir Gehör zu verschaffen; das merke Dir, Kiaja!«
»Ich bin kein Kiaja; ich bin ein Raïs, ein Nezanum!«
Obgleich dieser Vorgang bis jetzt nur wenige Augenblicke in Anspruch genommen hatte, war er doch von den anrückenden Kurden bemerkt worden, und es hatte sich eine bedeutende Anzahl derselben, die sich immer mehr vergrößerte, um uns versammelt. Doch sagte mir ein einziger Blick, daß Keiner von ihnen gewillt war, voreilig Partei zu ergreifen. Darum antwortete ich unbesorgt:
»Du bist weder ein Raïs noch ein Nezanum; Du bist nicht einmal ein freier Kurde, wie diese tapferen Männer hier, denen Du befehlen willst.«
»Beweise es!« rief er in höchster Wuth.
»Du bist der Dorfälteste von Dalascha; aber die sieben Orte Dalascha, Chal, Serschkiutha, Beschukha, Behedri, Biha und Schuraisi gehören zu dem Lande Chal, welches dem Statthalter von Amadijah Tribut bezahlt und folglich dem Pascha von Mossul und also auch dem Großherrn in Stambul unterthänig ist. Der Älteste eines Dorfes, welches dem Padischah Tribut entrichtet, ist aber nicht ein freier Nezanum, sondern
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