Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Der Erste, den ich erblickte, war – Sir David Lindsay, welcher behaglich an der Mauer lehnte. Als er mich sah, ging mit seinem gelangweilten Gesichte eine gewaltige Veränderung vor: – die Stirn schob sich empor, und das Kinn fiel tief herunter, als sei es in Ohnmacht gesunken; der Mund öffnete sich, als solle ein ganzer Fowling-bull verschlungen werden, und die Nase richtete sich auf, wie der Hals eines Gemsbockes, wenn etwas Verdächtiges in den Wind kommt. Dann that der lange David einen herkulischen Sprung auf mich zu und fing mich, der ich soeben vom Pferde springen wollte, in seinen geöffneten Armen auf.
»Master, Sir!« brüllte er. »Wieder da? Heigh-day-heisa! Huzza! Welcome! Hail, hail, hail!«
»Na, erdrückt mich nicht, Sir David! Andere Leute wollen auch etwas von mir übrig behalten!«
»Eh! Oh! Ah! Wo habt Ihr gesteckt? Wo gewesen? Wie gegangen, he? Selbst befreit? Lack-a-day, Gefangenen mitgebracht! Wunderbar! Unbegreiflich! Yes!«
Da aber wurde ich bereits von der andern Seite gefaßt.
»Allah illa allah! Da bist Du ja, Effendi! Allah und dem Propheten sei Dank! Nun sollst Du erzählen!«
Es war Mohammed Emin. Und Amad el Ghandur, sein Sohn, welcher neben ihm stand, rief:
»Wallahi, das hat Gott geschickt! Nun hat die Noth ein Ende. Sihdi, reiche uns Deine Hand!«
Und dort seitwärts stand der kleine brave Hadschi Halef Omar. Er sagte kein Wort, aber in seinen treuen Augen funkelten zwei große Freudentropfen. Ich reichte auch ihm die Hand:
»Halef, das habe ich zum großen Theile Dir zu danken!«
»Rede nicht, Sihdi!« antwortete er. »Was bin ich gegen Dich? Eine schmutzige Ratte, ein häßlicher Igel, ein Hund, der froh ist, wenn ihn Dein Auge mit einem Blick beglückt!«
»Wo ist der Melek?«
»Im Hause.«
»Und der Bey?«
»In der verborgensten Stube, weil er die Geisel ist.«
»Laßt uns hineingehen!«
Es hatte sich eine große Menschenmenge um uns versammelt. Ich schnürte den Raïs vom Bügel los und bedeutete ihm, mit mir in das Haus zu treten.
»Du bringst mich nicht hinein!« knirschte er.
»Dojan, paß auf!«
Dieser Ruf genügte. Ich ging voran, das Ende der Schnur in der Hand haltend, und der Gefangene folgte ohne Zögern. Als die Thür geschlossen war, erhob sich draußen ein tosendes, hundertstimmiges Murmeln: die Menge suchte sich den für sie noch geheimnißvollen Vorgang zu erklären. Drinnen trat uns der Melek entgegen. Als er mich erblickte, stieß er einen Ruf der lebhaftesten Freude aus und streckte mir beide Hände entgegen.
»Emir, was sehe ich! Du bist wieder zurück? Heil und unverletzt? Und hier – – ah, Nedschir-Bey! Gefangen!«
»Ja. Kommt herein und laßt Euch erklären!«
Wir traten in den größten Raum des Erdgeschosses, wo Platz für uns Alle war. Hier ließen sie sich erwartungsvoll auf die Matten nieder, während der Raïs stehen mußte; seine Leine hatte der Hund zwischen den Zähnen, der bei der geringsten Bewegung des Gefangenen ein drohendes Knurren ausstieß.
»Wie ich in die Hände des Raïs von Schohrd gerathen bin, und wie man mich behandelt hat, das hat Euch wohl hier Halef ausführlich erzählt?« frug ich.
»Ja,« erklang es im Kreise.
»So brauche ich es nicht zu wiederholen und – – –«
»O doch, Emir, erzähle es noch einmal selbst!« unterbrach mich der Melek.
»Später. Jetzt haben wir keine Zeit dazu, denn es gibt sehr Nothwendiges zu thun.«
»Wie wurdest Du frei, und wie ward der Raïs selbst Dein Gefangener?«
»Auch das sollt Ihr später ausführlich hören. Der Raïs hat die ganze Umgegend aufgestachelt, sich morgen früh auf die Berwari zu werfen. Das wäre das Verderben der Chaldani – –«
»Nein!« ließ sich eine Stimme vernehmen.
»Streiten wir uns nicht! Es gab nur Einen, der hier helfen konnte, nämlich der Ruh ‘i kulyan – – –«
»Der Ruh ‘i kulyan!« erscholl es erstaunt und erschrocken.
»Ja, und ich ging zu ihm.«
»Wußtest Du seine Höhle?« frug der Melek.
»Ich fand sie und erzählte ihm Alles, was geschehen war. Er hörte mir ruhig zu und sagte mir, ich solle – – –«
»Er hat mit Dir gesprochen? Du hast seine Stimme gehört? – Emir, das ist noch keinem Sterblichen widerfahren,« rief einer der vornehmen Chaldäer, die mit uns eingetreten waren. »Du bist ein Liebling Gottes, und auf Deine Stimme müssen wir hören!«
»Thut es, Ihr Männer; das wird zu Eurem Heile gereichen!«
»Was sagte der Geist der Höhle?«
»Er sagte, ich solle sofort nach
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