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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Gute Nacht!«
    »Gute Nacht!«
    Sie hatte meine Hand ergriffen und einen kaum fühlbaren Kuß darauf gehaucht; dann eilte sie wie ein verscheuchtes Reh in das Dunkel der Nacht hinein. Ich stand eine volle Minute lang bewegungslos, dann schlug ich den Weg nach Lizan ein, während meine Gedanken sich – rückwärts nach Schohrd bewegten.
    Ich mochte vielleicht die Hälfte der Strecke zurückgelegt haben, als ich den Hufschlag eines Pferdes vor mir erschallen hörte. Ich trat zur Seite hinter einen Busch, um nicht gesehen zu werden. Der Reiter kam eilig näher und an mir vorüber – es war der Raïs. Schon war er vorüber, da rief ich ihn an:
    »Nedschir-Bey!«
    Er hielt sein Pferd an.
    Ich machte Dojan von der Leine frei, um ihn in seinen Bewegungen nicht zu hindern, falls mir sein Beistand nöthig würde, und trat dann zu dem Raïs.
    »Wer bist Du?« frug er.
    »Dein Gefangener,« antwortete ich, sein Pferd beim Maule fassend.
    Er beugte sich vor und sah mir in das Gesicht. Dann griff er nach mir; ich aber war schneller und packte seine Faust.
    »Nedschir-Bey, höre in Ruhe, was ich Dir zu sagen habe. Der Ruh ‘i kulyan sendet mich: Du sollst sofort zur Höhle kommen.«
    »Lügner! Wer hat Dich befreit?«
    »Wirst Du dem Rufe des Geistes folgen oder nicht?«
    »Hund, ich tödte Dich!«
    Er langte mit seiner freien Hand nach dem Gürtel, zu gleicher Zeit aber gab ich ihm aus allen Kräften einen plötzlichen Ruck; er wurde bügellos und flog in einem weiten Bogen vom Pferde herab.
    »Dojan, faß!«
    Der Hund warf sich auf ihn, während ich mir Mühe geben mußte, das Pferd zu beruhigen. Als mir dies gelungen war, sah ich den Raïs bewegungslos am Boden liegen; Dojan stand über ihm und hatte zwischen seinem aufgesperrten Gebiß den Hals des Mannes.
    »Nedschir-Bey, die kleinste Bewegung oder das leiseste Wort kostet Dir das Leben; dieser Hund ist schlimmer als ein Panther. Ich werde Dich binden und Dich mit nach Lizan nehmen; rührst Du ein Glied falsch, oder sagst Du ein lautes Wort gegen meinen Willen, so lasse ich Dich zerreißen.«
    Er sah den grimmigen Tod vor Augen und wagte nicht den geringsten Widerstand. Zunächst nahm ich ihm seine Waffen ab: – Flinte und Messer. Dann fesselte ich ihn mit der starken Hundeleine grad in der Weise, wie man mich gefesselt hatte, und endlich stieß ich ihn empor und band ihn an den Steigbügel, grad so, wie man es mir gemacht hatte.
    »Erlaube, Nedschir-Bey, daß ich aufsteige; Du bist heut lang genug zu Pferde gesessen. Vorwärts!«
    Er folgte ohne Widerstand, denn er mußte einsehen, daß derselbe vollständig nutzlos wäre. Es fiel mir nicht ein, meine jetzige vortheilhafte Lage zu benutzen, um den Mann zu verhöhnen, und so verhielt ich mich vollständig schweigsam. Er selbst unterbrach die Stille, aber in einem so vorsichtigen Tone, daß ich die Befürchtung heraushörte, der Hund werde ihn beim ersten Laute packen.
    »Herr, wer hat Dich befreit?«
    »Das hörst Du später.«
    »Wohin bringst Du mich?«
    »Das wirst Du sehen.«
    »Ich werde Madana peitschen lassen!« grollte er.
    »Das wirst Du bleiben lassen! Wo hast Du meine Waffen und die andern Sachen?«
    »Ich habe sie nicht.«
    »Sie werden sich finden. Höre, Nedschir-Bey, hast Du kein besseres Pferd als dieses?«
    »Ich habe Pferde genug!«
    »Das ist mir lieb. Ich werde sie mir morgen ansehen und mir eins derselben auswählen für das, welches Du mir heut erschießen ließest.«
    »Der Scheïtan wird Dir eins geben. Morgen um diese Zeit bist Du wieder gefangen!«
    »Wollen sehen!«
    Jetzt trat wieder Stille ein. Er trabte gezwungener Weise neben her, der Hund hart an seinen Füßen, und bald sahen wir Lizan vor uns liegen.
    Der Ort hatte sich während meiner Abwesenheit in ein Heerlager verwandelt. Drüben auf dem rechten Ufer des Zab herrschte vollständige Dunkelheit, hüben aber brannte Feuer an Feuer, an welchen zahlreiche Männergruppen lagen oder standen. Das größte Feuer brannte vor dem Hause des Melek, wie ich schon von Weitem bemerkte. Um jeden unnützen Aufenthalt zu vermeiden, setzte ich mein Pferd in Trab; der Gefangene mußte gleichfalls traben. Dennoch erkannte man mich allenthalben.
    »Der Fremde, der Fremde!« erscholl es, wo ich vorüber kam. Oder es ertönte der Ruf: »Nedschir-Bey! Und gefangen!«
    Wir hatten bald ein zahlreiches Gefolge hinter uns, welches sich Mühe gab, mit uns Schritt zu halten. So gelangten wir zum Hause des Melek. Hier waren wenigstens sechzig Bewaffnete versammelt.

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