Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
trugen die beiden Fackeln, die den Weg erleuchten sollten.
Dieser Weg war zunächst ein gebahnter Pfad; später wichen wir von demselben ab, hatten aber Raum genug für zwei neben einander gehende Pferde. Es war ein überaus phantastischer Ritt. Unter uns lag das bisher nur von höchstens vier Europäern betretene Thal des Zab im tiefsten, unheimlichen Dunkel. Diesseits, rechts von uns, glänzte die blutrothe Lohe der Fackeln von Lizan zu uns herauf; links, jenseits des Wassers, zeigte ein mattheller Fleck die Stelle an, wo die Kurden lagerten; über uns dunkelte die Bergesmasse, auf deren Höhe der Geist hauste, der selbst mir ein Räthsel war, obgleich er mir erlaubt hatte, ihn zu ›recognosciren‹; und was nun uns Sechs selbst betraf, so ritten wir zwischen den gespenstischen Reflexen unserer Kienbrände, bestanden aus einem Araber der Sahara, einem Engländer, einem Kurden, zwei Nasarah und einem Deutschen und hatten einen Gefangenen in der Mitte.
Da bogen wir um eine Felsenkante; das Thal verschwand hinter uns, und vor uns tauchten die weit aus einander stehenden Stämme des Hochwaldes auf, auf dessen weichem Boden wir aufwärts ritten. Das flackernde Licht der beiden Flammen wanderte von Ast zu Ast, von Zweig zu Zweig, von Blatt zu Blatt; neben, vor und hinter uns huschte, schwirrte und flatterte es wie zwischen den Spalten eines Gespensterromanes; der schlafende Wald athmete schwer rauschend, und die Huftritte unserer Pferde in dem tiefen Humusboden klangen wie die fernher tönenden Wirbel eines Trommler-Trauermarsches.
»Schauerlich! Yes!« meinte der Engländer halblaut, indem er sich schüttelte. »Möchte nicht allein da zu dem Geiste reiten. Well! Ihr wart allein?«
»Nein.«
»Nicht? Wer war dabei?«
»Ein Mädchen.«
»A maid! Good lack! Jung?«
»Ja.«
»Schön?«
»Sehr!«
»Interessant?«
»Versteht sich! Interessanter als ein Fowling-bull.«
»Heavens, habt Ihr Glück! Erzählt!«
»Später, Sir. Ihr werdet sie morgen auch sehen.«
»Well! Werde beurtheilen, ob sie wirklich interessanter ist, als Fowling-bull. Yes!«
Das leise geführte Gespräch verstummte wieder. Es lag etwas Heiliges, Unberührbares in dieser tiefen Waldesnacht, und von jetzt an gab es keinen andern Laut als nur zuweilen das Schnauben eines unserer Pferde. So kamen wir immer weiter empor, bis wir einen Bergkamm erreichten, wo die beiden Voranreitenden anhielten.
»Wir sind am Ziele,« sagte der Melek. »Hier drüben, zweihundert Schritte hinab sind die Felsen, in denen sich die Höhle befindet. Hier steigen wir ab und lassen unsere Pferde zurück. Gehst Du mit?«
»Ja, um des Raïs willen, aber nur bis zur Höhle. Löscht die Fackeln aus!«
Wir banden die Pferde, bei denen Halef und Lindsay zurückbleiben sollten, an die Bäume und knüpften dann den Raïs los. Damit er gehen konnte, wurden ihm auch die Bande von den Beinen genommen. Dojan, der Hund, stand dabei und beobachtete ihn mit Augen, die selbst in der Dunkelheit zu erkennen waren; sie hatten fast jenen phosphorescirenden Glanz, welchen man an den Augen einer Tintorera bemerkt, wenn des Nachts das Meerwasser leuchtet und man dieses fürchterliche Ungeheuer in der durchsichtigen Fluth deutlich erkennen kann.
»Raïs, Du folgst dem Melek und dem Bey. Ich gehe hinter Dir. Zauderst Du, so lernst Du die Zähne dieses Hundes doch noch kennen!«
Mit diesen Worten gab ich das Zeichen, unsern Weg nun fortzusetzen. Die angegebene Reihenfolge wurde beibehalten, und Nedschir-Bey weigerte sich nicht im Mindesten, meiner Weisung Folge zu leisten. Wir schritten quer über den Bergkamm hinüber und dann eine Steilung hinab, von welcher aus ich die Felsen unter uns liegen sah. Nach kaum mehr als fünf Minuten standen wir an demselben Orte, an dem Ingdscha während meiner Unterredung mit dem Ruh ‘i kulyan auf mich gewartet hatte.
»Ihr sollt in die Höhle treten und dann so lange gradaus gehen, bis Ihr Licht findet,« bemerkte ich.
Das Abenteuer schien die Betheiligten doch nicht so ganz gleichgültig zu lassen, wie ich aus ihren langen, tiefen Athemzügen schloß; denn ihre Gesichter konnte ich nicht deutlich sehen.
»Emir, binde mir die Arme los!« bat da der Raïs.
»Das wollen wir nicht wagen,« antwortete ich.
»Ich entfliehe nicht; ich gehe mit hinein!«
»Schmerzen sie Dich?«
»Gar sehr.«
»Du hast sie mir ganz ebenso binden lassen, und ich mußte die gleichen Schmerzen noch viermal länger ertragen, als Du. Dennoch würde ich die Schnur lösen,
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