Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
und der Melek versicherte ihm:
»Bey, ich vertraue Dir und werde Dich nicht bewachen, obgleich mir der Besitz Deiner Person jetzt wichtiger ist, als große Schätze. Wir werden nicht gehen, sondern reiten, und Du sollst frei auf Deinem Pferde sein.«
»Reiten?« frug ich. »Ist dies nicht unmöglich bei diesem Wege?«
»Es gibt einen Umweg,« antwortete er, »der zwar länger ist, auf welchem wir aber zu Pferd die Höhle eher erreichen, als wenn wir die Höhen mühsam erklettern. Du reitest mit, Herr?«
»Ja, obgleich ich nicht mit zum Geiste gehen werde.«
»Was aber soll mit Nedschir-Bey geschehen?«
Der Genannte wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern sagte tückisch:
»Ich gehe nicht mit; ich bleibe hier!«
»Du hast gehört, daß Dich der Ruh ‘i kulyan verlangt,« warnte ihn der Melek mit ernster Stimme.
»Was dieser Fremde sagt, brauche ich nicht zu beachten!«
»So willst Du dem Geiste nicht gehorchen?«
»Ich gehorche ihm, aber nicht, wenn er mir diesen Franken schickt!«
»Aber ich befehle es Dir!«
»Melek, ich bin Nedschir-Bey, der Raïs von Schohrd; Du hast mir nichts zu befehlen!«
Der Melek sah mich fragend an, darum wandte ich mich zu meinem kleinen Hadschi Halef Omar:
»Halef, hast Du gesehen, ob es hier Hhabalun gibt?«
»Siehe, dort im Winkel liegen genug, Herr,« antwortete er.
»Nimm davon und komm!«
Der kleine Hadschi merkte, was geschehen solle. Er versetzte dem Raïs, der ihm in der Richtung stand, einen nicht sehr freundschaftlichen Rippenstoß und nahm dann die aus Leff gearbeiteten Stricke vom Boden auf. Ich aber erklärte dem Melek:
»Will er nicht mit, so wird er gezwungen. Wir binden ihn auf das Pferd, so daß er sich nicht bewegen kann.«
»Versucht es,« drohte der Raïs. »Wer mir nahe kommt, dem thue ich so, wie Du es mit dem Manne Madana’s gemacht hast!«
»Was meint er?« frug Halef.
»Er soll auf das Pferd gebunden werden, will aber einen Jeden niedertreten, der es wagt, sich ihm zu nahen.«
»Maschallah, der Mensch ist verrückt!«
Bei diesen Worten that der kleine Mensch einen Sprung, und im nächsten Augenblick lag der riesige Chaldani, welcher allerdings an den Händen gefesselt war, auf der Erde. Eine halbe Minute später waren ihm die Beine so fest und eng zusammengebunden, daß seine ganze Gestalt so unbeweglich war, als ob sie in einem Futterale stäke.
»Aber, Halef, er soll ja auf dem Pferde sitzen?« erinnerte ich.
»Ist nicht nöthig, Sihdi,« antwortete er. »Wir legen diesen Dschadd mit dem Bauch auf das Pferd; so kann er schwimmen lernen.«
»Wohl; schaffe ihn hinaus!«
Der Kleine faßte den Großen beim Kragen des Gewandes, hob ihn halb empor, drehte sich um, so daß Rücken auf Rücken kam, und schleifte ihn hinaus. Die Anderen folgten. Jetzt trat Lindsay zu mir heran.
»Master,« sagte er. »Habe nichts verstanden, nothing-not, weniger als nichts. Wohin geht Ihr?«
»Zum Höhlengeist.«
»Höhlengeist? Thunder-storm! Darf ich mit?«
»Hm! Eigentlich nicht.«
»Pshaw! Werde diesen Geist nicht aufessen!«
»Glaube es!«
»Wo wohnt er?«
»Droben in den Felsen.«
»Felsen? Gibt’s da Ruinen?«
»Weiß nicht. Es war dunkel oben während meiner Anwesenheit.«
»Felsen! Höhlen! Ruinen! Geister! Vielleicht auch Fowling-bulls?«
»Ich glaube nicht.«
»Und dennoch gehe ich mit! War hier so lange allein; kein Mensch versteht mich. Bin froh, daß ich Euch wieder habe. Nehmt mich mit!«
»Nun wohl; aber zu sehen werdet Ihr wohl nichts bekommen.«
»Disagreeable, uncivil! Wollte auch einmal Geist sehen – Geist oder Gespenst! Gehe aber doch mit! Yes!«
Als wir aus dem Hause traten, war die ganze Bevölkerung Lizan’s vor demselben versammelt; doch herrschte trotz der vielen Menschen eine tiefe Stille. Man sah bei dem Scheine der Fackeln ganz deutlich, daß ich mit Halef’s Hilfe den Raïs auf das Pferd befestigte; aber keine Lippe regte sich, um nach der Ursache dieses gewiß ungewöhnlichen Verfahrens zu fragen. Unsere Pferde nebst den nöthigen Fackeln wurden herbeigeschafft, und dann erst, als wir aufsaßen, erklärte der Melek den Versammelten, daß wir im Begriffe ständen, den Ruh ‘i kulyan aufzusuchen. Er befahl, bis zu unserer Wiederkehr nicht das Geringste zu unternehmen, und dann ritten wir zwischen den erstaunten Zuhörern davon.
Voran ritt der Melek mit dem Bey; dann folgte Halef, welcher das Pferd des Raïs am Zügel führte, und der Engländer beschloß mit mir den kleinen Zug. Der Melek und Lindsay
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