Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Bruder.«
»Allo mag ihn in seine Obhut nehmen.«
Ich folgte diesem Vorschlage, führte den Scheik an eine entferntere Stelle und ließ ihn da in der Obhut des Köhlers, dem ich bedeutete, daß er die größte Achtsamkeit auf den Gefangenen zu verwenden habe. Dann kehrte ich zu den Andern zurück.
»Jetzt sind wir unbelauscht,« meinte Mohammed Emin, »und ich wiederhole meine Frage, wie lange wir den Bebbeh mit uns herum chleppen sollen.«
»Warum thust Du diese Frage?«
»Bin ich nicht berechtigt, sie zu thun, Effendi?«
»Du hast ein Recht dazu, welches ich Dir nicht bestreite. Ich wollte ihn bei mir behalten, bis ich sicher sein kann, daß wir nicht verfolgt werden.«
»Wie willst Du diese Sicherheit erhalten?«
»Dadurch, daß ich mich überzeuge. Wir setzen unsern Weg bis Mittag fort; dann nehmt Ihr an einer geeigneten Stelle gleich Nachtlager, ich aber reite zurück und bin überzeugt, daß ich die Bebbeh sicher entdecken werde, falls sie uns folgen. Morgen am Vormittag bin ich wieder bei Euch.«
»Ist ein solcher Feind so vielerMühe werth?«
»Nicht er ist es werth, aber unsere Sicherheit erfordert es.«
»Warum willst Du es Dir und uns nicht leichter machen?«
»Auf welche Weise könnte dies geschehen?«
»Du weißt, daß er unser Feind ist?«
»Sogar ein sehr schlimmer Feind.«
»Der uns wiederholt nach dem Leben trachtete?«
»Allerdings.«
»Der uns sogar verrieth, als er sich in unsern Händen befand; denn er rief die Seinigen herbei, als Du das Thal verlassen hattest, um den Hund zu vertheidigen.«
»Auch dies ist richtig.«
»Nach den Gesetzen der Schammar hat er mehrfach den Tod verdient.«
»Gelten diese Gesetze auch hier?«
»Überall, wo ein Schammar zu richten hat.«
»Ah, Ihr wollt den Gefangenen richten? – Ich denke, Ihr habt ihm bereits das Urtheil gesprochen! Wie lautet es?«
»Der Tod.«
»Warum habt Ihr dies Urtheil nicht bereits vollstreckt?«
»Konnten wir dies thun ohne Dich, Emir?«
»Ihr habt nicht den Muth, das Urtheil ohne mich zu vollstrecken; aber Ihr habt das Herz, den Gefangenen ohne mich zu richten? O, Mohammed Emin, Du gehst auf falschem Wege, denn der Tod des Gefangenen wäre auch der Deinige gewesen.«
»Wie willst Du mir das erklären?«
»Sehr leicht. Hier sitzt mein Freund David Lindsay-Bey, und hier mein tapferer Hadschi Halef Omar. Glaubst Du, daß sie Dir erlaubt hätten, in meiner Abwesenheit den Bebbeh zu tödten?«
»Sie hätten uns nicht gehindert. Sie wissen, daß wir stärker sind, als sie.«
»Es ist wahr, Ihr seid die tapfersten Helden der Haddedihn, aber diese beiden Männer haben noch niemals Furcht und Angst gefühlt. Was denkst Du wohl, was ich gethan hätte, wenn ich nach meiner Rückkehr Zeuge Eures Thuns geworden wäre?«
»Du hättest es nicht mehr zu ändern vermocht.«
»Das ist richtig, aber es wäre Euer Tod gewesen. Ich hätte das Messer vor Euch in die Erde gesteckt und mit Euch gekämpft als Rächer dessen, der ermordet wurde, obgleich er sichunter meinem Schutze befand. Allah allein weiß, ob es Euch gelungen wäre, mich zu überwinden.«
»Emir, laß uns darüber schweigen. Du siehst ja, daß wir Dich fragen, bevor wir handeln. Der Scheik hat den Tod verdient; laß uns über ihn berathen!«
»Berathen? Wißt Ihr nicht, daß ich seinem Bruder versprochen habe, ihn unverletzt ziehen zu lassen, sobald ich überzeugt bin, daß wir nicht verfolgt werden?«
»Dies war ein voreiliges Versprechen. Du gabst es, ohne uns vorher zu fragen. Bist Du etwa unser Gebieter, daß Du Dir jetzt angewöhnt hast, ganz aus eigener Macht zu handeln?«
Das war ein Vorwurf, den ich nicht erwartet hatte. Ich schwieg einige Zeit, um mein Gewissen zu prüfen; dann antwortete ich:
»Ihr habt Recht, wenn Ihr sagt, daß ich zuweilen gehandelt habe, ohne Euch zu fragen. Dies geschah aber nicht, weil ich mich für den Höchsten von Euch halte, sondern aus anderen Gründen. Ihr versteht nicht Kurdisch, und ich war also stets der Einzige, der mit den Kurden zu sprechen hatte. Konnte ich Euch da vor jeder Frage, welche ich erhielt, und bei jeder Antwort, welche ich ertheilte, die Worte übersetzen? Hat man bei einem Entschluß, der schnell gefaßt werden muß, bei einer That, die nicht den mindesten Aufschub erleiden darf, Zeit und Gelegenheit, sich mit Gefährten zu berathen, die nicht einmal eine und dieselbe Sprache reden? Ist es nicht immer zu unserm Nutzen gewesen, wenn Ihr das thatet, was ich Euch rieth?«
»Seit wir mit den Bejat
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