Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
längere Zeit vergangen, so daß jetzt bereits sich der Horizont rötete und man die nebellosen Wasser des Niles weithin zu überblicken vermochte. Noch immer sahen wir Abrahim mit den Seinigen am Ufer stehen, und weiter oben erschien ein Segel, welches in dem Morgenrot erglühte.
»Ein Sandal!« meinte Halef.
Ja, es war ein Sandal, eine jener lang gebauten, stark bemannten Barken, welche so schnell segeln, daß sie fast mit einem Dampfer um die Wette gehen.
»Er wird den Sandal anrufen und uns auf demselben verfolgen,« sagte Isla.
»Hoffentlich ist der Sandal ein Kauffahrer, der nicht auf ihn hört!«
»Wenn Abrahim dem Reïs eine genügende Summe bietet, wird dieser sich nicht weigern.«
»Auch in diesem Falle würden wir einen guten Vorsprung gewinnen. Ehe der Sandal anlegt und der Reïs mit Abrahim verhandelt hat, vergeht einige Zeit. Auch muß sich Abrahim, ehe er an Bord gehen kann, mit allem versehen, was zu einer längeren Reise notwendig ist, da er nicht wissen kann, welche Ausdehnung die Verfolgung haben wird.«
Das Segel entschwand jetzt unseren Blicken, und wir machten eine so schnelle Fahrt, daß wir nach kaum einer halben Stunde die Dahabïe zu Gesicht bekamen, welche uns weiter tragen sollte.
Der alte Abu el Reïsahn lehnte an der Brüstung des Sternes. Er sah, daß eine weibliche Person im Boote saß, und wußte also, daß unser Unternehmen gelungen sei, wenigstens gelungen bis zu diesem Augenblick.
»Legt an,« rief er. »Die Treppe ist niedergelassen!«
Wir stiegen an Bord, und das Boot wurde am Steuer befestigt. Dann ließ man die Seile gehen und zog die Segel auf. Das Fahrzeug drehte den Schnabel vom Land ab; der Wind legte sich in das Leinen, und wir strebten der Mitte des Stromes zu, welcher uns nun abwärts trug.
Ich war zum Reïs getreten.
»Wie ging es?« fragte er mich.
»Sehr gut. Ich werde es dir erzählen; doch sage mir vorher, ob ein guter Sandal dein Fahrzeug einholen könnte.«
»Werden wir verfolgt?«
»Ich glaube es nicht, doch ist es möglich.«
»Meine Dahabïe ist sehr gut, aber ein guter Sandal holt jede Dahabïe ein.«
»So wollen wir wünschen, daß wir unverfolgt bleiben!«
Ich erzählte nun den Hergang unseres Abenteuers und ging dann nach der Kajüte, um meine noch immer feuchten Kleider zu wechseln. Sie war in zwei Teile geteilt, einen kleinen und einen größeren. Der erstere war für Senitza und der letztere für den Kapitän, Isla Ben Maflei und mich bestimmt.
Es waren vielleicht zwei Stunden seit unserer Abfahrt vergangen, als ich oberhalb unseres Schiffes die Spitze eines Segels bemerkte, welches sich immer mehr vergrößerte. Als der Rumpf sichtbar wurde, erkannte ich den Sandal, welchen wir in der Frühe gesehen hatten.
»Siehst du das Schiff?« fragte ich den Reïs.
»Allah akbar, Gott ist groß, und deine Frage ist auch groß,« antwortete er mir. »Ich bin ein Reïs und sollte ein Segel nicht sehen, welches so nahe hinter dem meinigen steuert!«
»Ob es ein Fahrzeug des Khedive ist?«
»Nein.«
»Woraus erkennst du dies?«
»Ich kenne diesen Sandal sehr genau.«
»Ah!«
»Er gehört dem Reïs Chalid Ben Mustapha.«
»Kennst du diesen Chalid?«
»Sehr; aber wir sind keine Freunde.«
»Warum?«
»Ein ehrlicher Mann kann nicht der Freund eines Unehrlichen sein.«
»Hm, so ahnt mir etwas.«
»Was?«
»Daß sich Abrahim-Mamur an seinem Bord befindet.«
»Werden es sehen!«
»Was wirst du thun, wenn der Sandal sich an die Dahabïe legen will?«
»Ich muß es zugeben. Das Gesetz sagt es so.«
»Und wenn ich es nicht zugebe?«
»Wie wolltest du dies anfangen? Ich bin der Reïs meiner Dahabïe und habe nach den Vorschriften des Gesetzes zu handeln.«
»Und ich bin der Reïs meines Willens.«
Jetzt trat Isla zu uns. Ich wollte ihm keine zudringliche Frage vorlegen, aber er begann selbst:
»Kara Ben Nemsi, du bist mein Freund, der beste Freund, den ich gefunden habe. Soll ich dir erzählen, wie Senitza in die Hände des Ägypters gekommen ist?«
»Ich möchte es sehr gerne hören, doch zu einer solchen Erzählung gehört die Ruhe und Sammlung, welche wir jetzt nicht haben können.«
»Du bist unruhig? Weshalb?«
Er hatte das hinter uns segelnde Fahrzeug noch nicht bemerkt.
»Drehe dich um und siehe diesen Sandal.«
Er wandte sich um, sah das Schiff und fragte:
»Ist Abrahim an Bord?«
»Ich weiß es nicht, aber es ist sehr leicht möglich, weil der Kapitän ein Schurke ist, der sich von Abrahim erkaufen lassen
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