Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
erzählt? Wir werden bei einander bleiben, und ich werde für das wenige, das ich Dir bieten kann, von Dir Schätze erhalten, nach denen ich bisher vergebens gerungen habe, weil ich Keinen fand, der sie besaß – Schätze des Geistes. Emir, ich bin kein gewöhnlicher Perser, aber ich kann mich nicht mit Dir vergleichen. Ich weiß, daß in Deinem Lande ein Knabe kenntnißreicher ist, als bei uns ein Mann; daß Ihr in Gütern schwelgt, deren Namen wir nicht einmal kennen. Ich weiß, daß unser Land eine Einöde ist gegen das Eurige, und daß der ärmste eurer Leute mehr Rechte besitzt, als der Wessir von Farsistan. Ich weiß noch vieles Andere, und ich erkenne auch den Grund: Ihr habt Mütter; Ihr habt Frauen; wir aber haben keins von Beiden. Gib uns gute Mütter, so werden unsere Kinder sich auch bald mit den Euren messen können. Das Herz der Mutter ist der Boden, in dem der Geist des Kindes Wurzel schlägt. OMohammed, ich hasse dich, denn du hast unseren Frauen die Seele genommen und sie zu Sklavinen der Sinnenlust gemacht; du hast dadurch unsere Kraft gebrochen, unser Herz versteinert, unsere Länder verödet und alle Jene, welche Dir folgen, um das wahre Glück betrogen!«
Er hatte sich erhoben und rief seine Anklage gegen den Propheten mit lauter Stimme aus. Ein Glück, daß keiner seiner Leute ihn zu hören vermochte! Erst nach einer beträchtlichen Pause wandte er sich wieder zu mir:
»Kennst Du den Weg von hier nach Bagdad?«
»Ich bin ihn noch nie geritten, aber ich werde mich dessen ungeachtet nicht verirren. Wir können zwei Richtungen einschlagen: die eine führt nach den Hamrin-Bergen im Südwest, und die andere bringt uns längs des Djalah bis hinab nach Ghadhim.«
»Wie weit, denkst Du, daß es von hier bis Ghadhim ist?«
»Auf dem ersteren Wege können wir in fünf, auf dem andern aber bereits in vier Tagen dort anlangen.«
»Führen diese Wege durch bewohnte Gegenden?«
»Ja, und eben deßhalb scheinen sie mir die besten zu sein.«
»So gibt es also noch andere Wege?«
»Allerdings; aber wir müßten durch Strecken reiten, in denen nur die räuberischen Beduinen umherschweifen.«
»Von welchem Stamme sind sie?«
»Es sind meist Dscherboa, über deren Grenzen zuweilen wohl auch einmal ein Trupp der Beni Lam herüberirrt.«
»Fürchtest Du sie?«
»Fürchten? Nein! Aber der Vorsichtige wählt unter zwei Wegen stets den ungefährlichen. Ich habe einen Paß des Großherrn bei mir, und dieser wird am Djalah und im Westen dieses Flusses respektirt, bei den Dscherboa aber nicht.«
»Und dennoch möchte ich mich für den einsamen Weg entscheiden, da ich ein Flüchtling bin. So nahe der persischen Grenze, möchte ich mich von den Verfolgern doch nicht erreichen lassen.«
»Vielleicht ist Deine Ansicht die richtige; aber bedenke, daß der Weg durch die Steppe, deren Vegetation jetzt unter der Sonnenglut erstorben ist, für die Frauen sehr beschwerlich sein wird.«
»Sie fürchten weder Hunger noch Durst, weder Hitze noch Frost; sie fürchten nur das Eine, daß ich ergriffen werde. Ich habe Wasserschläuche bei mir und Speisevorräthe auf wenigstens acht Tage für uns Alle.«
»Und kannst Du Dich wirklich auf Deine Leute verlassen?«
»Vollständig, Emir.«
»Gut, so wollen wir durch das Gebiet der Dscherboa reiten; Allah wird uns schützen. Übrigens werden wir, sobald wir die Ebene erreichen, sehr schnell vorwärts kommen, während Deine Kameele das jetzige bergige Terrain nur mühevoll überwinden. So sind wir also einig und brauchen nur zu warten, bis unsere Wunden den Aufbruch erlauben.«
»Nun erfülle mir eine Bitte,« sagte er zaghaft. »Ich habe mich bei meinem Aufbruche mit allem Nöthigen sehr reichlich versehen. Auf weiten Reisen verschwinden die Kleider vom Körper, und da ich wußte, daß ich bis Hadramaut keinen guten Bazar finden würde, so habe ich auch einen Vorrath an Gewändern mitgenommen. Eure Kleider sind nicht mehr Eurer würdig, und ich bitte Dich, von mir zu nehmen, was Ihr braucht!«
Dieser Vorschlag war mir ebenso willkommen als bedenklich. Hassan Ardschir-Mirza hatte Recht: wir Drei hätten uns in keinem civilisirten Orte sehen lassen können, ohne für ächte Vagabunden gehalten zu werden; aber ich wußte auch, daß der Engländer sich nichts schenken lassen würde, und sodann war es ja auch für mich ein Ehrenpunkt, die Freundschaft des Persers nicht gleich am ersten Tage in Anspruch zu nehmen. Übrigens war es mir auch sehr gleichgültig, in meinem nichts
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