Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
weniger als hoffähigen Gewande von einem Araber gesehen zu werden. Ein ächter Beduine taxirt den Mann nach seinem Pferde und nicht nach seinem Mantel, und in dieser Beziehung hatte ich die Überzeugung, den Neid eines Jeden zu erregen. Höchstens konnte es einem Wüstensohne beikommen, mich für einen Pferdedieb zu halten, und dies war nach seiner Anschauung ja mehr eine Ehre als eine Schande für mich. Ich antwortete also dem Mirza:
»Ich danke Dir! Ich weiß, wie gut Du es mit uns meinst, aber ich bitte Dich, uns erst in Ghadhim wieder über dieses Anerbieten sprechen zu lassen. Für die Dscherboa sind unsere Kleidernoch gut genug, und für die wenigen Tage bis in die Nähe von Bagdad werden wir sie schon noch tragen können. Ich denke, daß wir – –«
Ich hielt inne, denn es war mir, als hätte ich in dem Maulbeergesträuch, welches hinter den beiden Eichen stand, ein Geräusch gehört.
»Laß Dich nicht stören, Emir; es war ein Thier, vielleicht ein Vogel, eine Tschelpiseh oder Maïr-mar,« sagte der Mirza.
»Ich habe jede Art von Waldgeräusch studirt,« antwortete ich; »dies war kein Thier, sondern ein Mensch.«
Mit einigen langen Sprüngen umkreiste ich das Gesträuch und faßte einen Mann, der eben im Begriffe stand, zu entschlüpfen. Es war einer der persischen Diener.
»Was thust Du hier?« frug ich ihn.
Er antwortete nicht.
»Rede, sonst löse ich Dir die Zunge!«
Jetzt öffnete er die Lippen, ließ aber nur ein unartikulirtes Stammeln vernehmen. Da trat der Mirza hinzu und sagte, als er den Mann erblickte:
»Saduk ist’s? Er kann Dir nicht antworten, er ist stumm.«
»Aber was sucht er hier in dem Maulbeergesträuche?«
»Er wird es mir sagen; ich verstehe ihn.« Und zu dem Diener gewendet, frug er denselben:
»Saduk, was hast Du hier zu schaffen?«
Der Gefragte öffnete die Hand, in welcher er einige Kräuter und Wacholderbeeren hatte, und versuchte, sich durch Geberden verständlich zu machen.
»Woher kamst Du?«
Saduk zeigte nach rückwärts, dem Lager entgegengesetzt.
»Wußtest Du, daß wir uns hier befanden?«
Der Diener schüttelte mit dem Kopfe.
»Hast Du gehört, was wir gesprochen haben?«
Dasselbe Zeichen erfolgte.
»So gehe, aber störe mich nie wieder!«
Saduk entfernte sich, und sein Herr erklärte mir: »Saduk ist von Alwah beauftragt worden, Wacholderbeeren, wilden Lauch und andere Kräuter zu suchen, welche bei der Zubereitung der Auerhühner gebraucht werden. Er ist nur ganz zufällig in unsere Nähe gekommen.«
»Und hat uns belauscht,« warf ich ein.
»Du hast ja gesehen, daß er dies verneinte.«
»Ich glaube ihm nicht.«
»O, er ist treu!«
»Sein Angesicht gefällt mir nicht. Ein Mensch mit winkeliger, gebrochener Kinnlade ist falsch; dies mag ein Vorurtheil sein, aber ich habe es bisher immer bestätigt gefunden. Ist er stumm geboren?«
»Nein.«
»Wodurch hat er denn die Sprache verloren?«
Der Mirza zögerte mit der Antwort, sagte aber dann doch:
»Er hat keine Zunge mehr.«
»Ah! Und erst konnte er sprechen? So ist sie ihm herausgeschnitten worden?«
»Leider!« antwortete der Mirza zurückhaltend.
Ich dachte mit Schaudern an die glücklicherweise jetzt seltene Grausamkeit, ein durch die Zunge geschehenes Vergehen durch Herausschneiden oder gar Herausreißen dieses Gliedes zu bestrafen. Diese Unmenschlichkeit kam besonders im Orient und in den Sklavenstaaten Amerika’s vor.
»Hassan Ardschir-Mirza,« begann ich wieder, »ich sehe, daß Du über diese Sache nicht gern sprechen möchtest; aber dieser Saduk gefällt mir nicht; ich könnte ihm niemals mein Vertrauen schenken, und seine Gegenwart während unseres Gespräches kommt mir verdächtig vor. Ich bin kein neugieriger Mann, aber ich habe die Gewohnheit, in gefährlichen Lagen auch dem gleichgültigsten Gegenstande meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bitte Dich, mir zu erzählen, wie er um seine Zunge gekommen ist.«
»Ich habe ihn erprobt, Emir; er ist treu und ehrlich. Dennoch aber sollst Du erfahren, was meinen Vater bewogen hat, ihn auf diese Weise zu bestrafen.«
»Deinen Vater? Ah, das ist wichtig!«
»Du irrst, Emir! Dieser Saduk war in seiner Jugend Kmankasch meines Vaters und hatte als solcher das Amt, der Überbringer seiner Befehle, Botschaften und sonstigen Sendungen zu sein. Als solcher verkehrte er viel in dem Hause des Muschtahed und sah die Tochter desselben. Sie gefiel ihm, und er war ein schöner Mann. Er sprang über die Mauer des Gartens, als sie bei den
Weitere Kostenlose Bücher