Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
mit ihr Wasser und gieße es auf das niedergetretene Gras, damit es sich rasch wieder aufrichtet. Du wirst mit der Hand nachhelfen!«
Er machte einige widerstrebende oder vielleicht auch entschuldigende Handbewegungen; aber als ich den Stutzen von der Schulter nahm, gehorchte er, ein Auge auf seine Arbeit und das andere auf die Mündung des Gewehres richtend.
»Nun komm,« sagte ich, als er fertig war; »wir wollen einmal nachsehen, was Du hier so auffällig zu beäugeln hattest!«
Ich forschte nach den beiden Punkten, auf welche sein Blick gefallen war, und bemerkte an zwei, vielleicht zwanzig Fuß aus einander stehenden Büschen je ein kleines Grasbüschel hangen.
»Ah, ein Zeichen! Das wird interessant! Mache dieses Gras herunter und wirf es in den Fluß!«
Er gehorchte.
»So, nun gehen wir zum Lager. Vorwärts! Wenn Du zu entfliehen suchst, so trifft Dich meine Kugel, oder es zerreißt Dich mein Hund!«
Meine Ahnung hatte mich also nicht getäuscht: dieser Mensch war ein Verräther, obgleich die Thatsache erst noch genauer erwiesen werden mußte. Als wir bei den Andern ankamen, ließ ich den Perser durch einen Diener holen.
»Was ist’s?« frug er. »Warum hältst Du Saduk beim Gewande?«
»Weil er mein Gefangener ist. Er will Dich verderben. Du wirst verfolgt, und er verräth Deinen Verfolgern unsern Aufenthalt durch Zeichen, die er ihnen gibt. Ich traf ihn, als er das Gras am Ufer des Flusses niedertrat, und an den Büschen hingen Grasbündel als Zeichen, an welcher Stelle man in das Gesträuch dringen müsse, um zu unserm Lager zu gelangen.«
»Das ist unmöglich!«
»Ich sage es! Verhöre ihn, wenn Du ihn verstehen kannst!«
Er legte dem Arrestanten eine Menge Fragen vor, konnte aber aus den darauf folgenden Zeichen und Gebärden weiter nichts entnehmen, als daß Saduk gar nicht begreife, was ich von ihm wolle.
»Siehst Du, Emir, daß er unschuldig ist!« meinte der Mirza.
»Nun gut, so werde ich an Deiner Stelle handeln,« sagte ich. »Ich hoffe, daß es mir gelingt, Dich zu überzeugen, daß dieser Mann ein Verräther ist. Hole nun Dein Gewehr und folge mir dann. Sage aber vorher Deinen Leuten, daß meine Begleiter einen Jeden niederschießen werden, welcher Miene macht, Saduk zu befreien. Sie sind nicht gewohnt, mit sich scherzen zu lassen. Unten am Rande des Busches mag Einer bis zu unserer Rückkehr Wache halten, um es den Andern zu melden, falls er das Nahen einer Gefahr bemerkt.«
»Reiten oder gehen wir?« frug er.
»Wie weit liegt der Ort von hier, wo Ihr Euer letztes Nachtlager hieltet?«
»Wir sind mehr als sechs Stunden geritten.«
»So können wir ihn heute nicht erreichen. Wir werden gehen.«
Er holte sein Gewehr. Ich gab Halef und dem Engländer die nöthigen Instructionen. Sie banden den Gefangenen und nahmen ihn zwischen sich. Er befand sich in so sicheren Händen, daß ich mich ohne Sorge entfernen konnte.
Wir gingen zunächst thalabwärts, dem Flusse zu. Auf der Hälfte dieses kurzen Weges blieb ich überrascht stehen, denn an einer kleinen Blutbuche hing ein ganz eben solches Grasbüschel wie die beiden, welche Saduk in den Fluß hatte werfen müssen.
»Halt, Mirza! Was ist das?« sagte ich.
»Gras,« erwiederte er.
»Wächst dies auf den Bäumen?«
»Allah hu! Wer hat es hierher gehängt?«
»Saduk. Komm zwanzig Fuß nach rechts hinüber, wo ich ein zweites Zeichen vermuthe!«
Er folgte mir, und meine Vermuthung bestätigte sich.
»Ist das aber nicht schon vor uns hier gewesen?« frug der Perser.
»O Hassan Ardschir-Mirza, wie gut ist es, daß nur ich allein Deine Worte höre! Siehst Du nicht, daß dieses Gras noch grün und frisch ist? Komm vollends herab zum Flusse, wo ich in ganz entsprechender Distanz die ersten Zeichen fand.Dieser Mensch hat ja förmlich einen zwanzig Fuß breiten Weg abgesteckt, welcher vom Flusse zum Lager führt. Dort wären wir überfallen und getödtet worden, ganz wie Dein Vater, der Apotheker, der Muschtahed und seine Tochter sterben mußten.«
»Herr, wenn Du Recht hättest!«
»Ich habe Recht. Bist Du ein guter Fußgeher und getraust Du Dir, den Weg wiederzufinden, auf welchem Ihr von Eurem letzten Lagerplatze bis hierher gekommen seid?«
Er bejahte Beides, und nun schritten wir am Flusse aufwärts und erreichten recht bald die Stelle, an welcher ich mit den Haddedihn und den andern Gefährten gelagert hatte, ehe wir den Persern zu Hülfe eilten. Wir waren damals aus Nord gekommen; hier aber bog das Flußthal bald nach Osten
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