Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
überlege wohl, daß ich ein Flüchtling bin.« Er schwieg, und ich antwortete sofort:
»Hassan Ardschir-Mirza , ich werde mit Dir ziehen, solange als ich Dir und den Deinigen nützlich sein kann.«
Er reichte mir die Hand und sagte:
»Ich danke Dir, Emir! Und Deine Gefährten?«
»Sie gehen dahin, wohin ich gehe. Darf ich fragen, welches Dein Ziel ist?«
»Hadramaut.«
Hadramaut! Dieses Wort elektrisirte mich. Das unerforschte, gefährliche Hadramaut! Da war plötzlich alle Abspannung und aller Mißmuth verschwunden, und ich erkundigte mich im lebhaftesten Tone: »Wirst Du dort erwartet?«
»Ja; ich habe einen Freund daselbst, den ich durch einen Boten von meiner Ankunft unterrichten ließ.«
»Darf ich Dich nach Hadramaut begleiten?« frug ich nun.
»So weit, Emir? Ein solches Opfer könnte ich vom besten Freunde nicht fordern.«
»Es ist kein Opfer, das ich bringe; ich begleite Dich gerne, wenn es Dir genehm ist.«
»So sei willkommen, Herr! Du sollst bei uns bleiben, so lange es Dir gefällt. Jetzt aber muß ich Dir noch mittheilen, daß ich vor der Reise nach Hadramaut erst Kerbela besuche.«
»Kerbela? Ah, wir sind ja am Ende des Monates Dsu ‘l hedsche, und der Moharrem bricht an. Am zehnten dieses Monates ist das große Pilgerfest in Kerbela.«
»Ja; die Hadsch el manijat ist längst schon unterwegs, und auch ich ziehe nach Kerbela, um an der Leidensstätte Hosseïn’s meinen Vater zu begraben. Du siehst, daß es Dir fast unmöglich sein wird, uns zu begleiten!«
»Warum unmöglich? Weil ich ein Christ bin, der nicht nach Kerbela gehen darf? Ich war bereits in Mekka, trotzdem nur der Moslem dort Zutritt hat.«
»Man würde Dich zerreißen, wenn Du in Kerbela erkannt würdest!«
»Man hat mich in Mekka auch erkannt und dennoch nicht zerrissen!«
»Emir, Du bist ein kühner Mann! Ich weiß, daß mein Vater in Allah’s Händen ruht, ob seine Leiche nun in Teheran oder in Kerbela begraben liegt. Ich würde nie nach Kerbela, Nedschef oder Mekka pilgern, denn Muhammed, Ali, Hassan und Hosseïn waren Menschen, wie wir es sind; aber ich habe den letzten Willen meines Vaters, der in Kerbela ruhen wollte, getreu zu erfüllen und werde mich aus diesem Grunde der Todtenkaravane anschließen. Willst Du an meiner Seite bleiben, so bin ich es nicht, der Dich verrathen würde; auch mein Haus wird schweigen; aber meine Diener theilen nicht meine Meinung über die Lehre des Propheten; sie würden die ersten sein, welche Dich tödteten.«
»Laß dies nur meine Sorge sein. Wo wirst Du Deine Kameele treffen?«
»Kennst Du Ghadhim bei Bagdad?«
»Die Perserstadt? Ja; sie liegt am rechten Ufer des Tigris, Madhim gegenüber, und ist mit Bagdad durch eine Pferdebahn verbunden.«
»Dort erwarten mich meine Kameeltreiber, welche auch die Leiche meines Vaters bei sich haben.«
»So begleite ich Dich zunächst bis dorthin, und das Übrige wird sich finden. Aber, bist Du in Ghadhim sicher?«
»Ich hoffe es. Zwar werde ich verfolgt, aber der Pascha von Bagdad würde mich nicht ausliefern.«
»Traue keinem Türken, traue auch keinem Perser! Du bist so vorsichtig gewesen, durch Kurdistan zu gehen; warum willst Du diese weise Vorsicht jetzt aufgeben? Du kannst Kerbela erreichen, auch ohne daß Du Dich der Leichenkaravane anschließest.«
»Ich kenne keinen Weg.«
»Ich werde Dich führen.«
»Kennst Du die Pfade?«
»Nein, aber ich werde sie finden. Allah hat mir die Gabe verliehen, ohne Führer Orte zu finden, die ich noch nie betreten habe.«
»Es geht dennoch nicht, Emir. Ich muß nach Ghadhim zu meinen Leuten.«
»So gehe heimlich hin und vermeide dann Bagdad und die Todtenkaravane!«
»Herr, ich bin kein Feigling. Sollen meine Leute glauben, daß ich mich fürchte?«
»Gut, auch Du bist kühn! Das freut mich, denn wir passen zusammen und reisen zusammen.«
»Ich stimme bei, Emir, doch mache ich eine Bedingung. Ich bin reich, sehr reich; ich fordere, daß Du Alles, was Du brauchst, nur allein von mir nimmst!«
»Dann bin ich Dein Diener, welcher Lohn empfängt.«
»Nein; Du bist mein Gast, mein Bruder, dessen Liebe mir erlaubt, für ihn zu sorgen. Ich schwöre bei Allah, daß ich nicht mit Dir reite, wenn Du diese Bedingung nicht annimmst!«
»Du zwingst mich durch diesen Schwur, Deinen Wunsch zu erfüllen. Du bist voll Güte und Vertrauen zu mir, obgleich Du mich nicht kennst!«
»Du meinst, ich kenne Dich nicht? Hast Du uns nicht aus der Hand der Bebbeh errettet? Hat nicht Amad el Ghandur von Dir
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