Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ihn in Deiner Muttersprache an!«
Der Mann machte eine Verbeugung gegen mich und sagte:
»Szluga pokoran, wiszoko pocschtowani – Ihr ergebener Diener, mein hochgeehrter Herr.«
Dieser höfliche, serbische Gruß brachte mich sofort auf die rechte Fährte. Ich reichte dem Mann beide Hände entgegen und antwortete:
»Nubo, otatz Osco, dobro, mi docschli – sieh da, Vater Osco! Willkommen!«
Es war wirklich Osco, der Vater von Senitza, und ich richtete große Freude damit an, daß ich ihn an diesem serbisch-montenegrinischen Gruße erkannt hatte. Natürlich war jetzt von Schlaf noch keine Rede, denn ich mußte zunächst wissen, wie es ihm ergangen war.
Seit dem Verschwinden seiner Tochter, außer welcher er kein Kind besaß, war er ruhelos umhergewandert. Er hatte hier und da geglaubt, eine Spur von ihr gefunden zu haben, war aber immer bald zu der Einsicht gelangt, daß er sich getäuscht habe. Noth hatte er während dieser Irrfahrten, welche sich meist über Kleinasien und Armenien erstreckt hatten, nicht gelitten, denn er war mit reichlichen Mitteln versehen gewesen. In ächt orientalischer Weise hatte er den Schwur gethan, die Heimat und sein Weib nicht eher wiederzusehen, als bis er sein Kind gefunden habe, war aber durch die Vergeblichkeit seiner Bemühungen gezwungen worden, nach Constantinopel zu gehen. Eine solche Odyssee ist nur im Orient möglich; bei den geordneten Zuständen des Abendlandes würde sie ein Wahnsinn zu nennen sein. Man kann sich vorstellen, welche Freude der Montenegriner gehabt hatte, da er seine Tochter als das Weib des Mannes fand, für den er sie hatte suchen wollen, und nicht nur seine Tochter hatte er gesehen, sondern auch sein Weib, welches der Tochter nach Stambul gefolgt war.
Er hatte den ganzen Zusammenhang erfahren und strebte nun nach Rache. Er war entschlossen, den Derwisch Ali Manach aufzusuchen, um ihn zu zwingen, Auskunft über den Aufenthaltsort seines Vaters zu ertheilen, und ich hatte Mühe, ihn zu bestimmen, diesen Besuch mir zu überlassen.
Nun erst legten wir uns schlafen, und ich kann sagen, daß ich nach der überstandenen Anstrengung sofort in Schlummer fiel, und vielleicht wäre ich am Morgen noch nicht aufgewacht, wenn ich nicht geweckt worden wäre. Maflei schickte nämlich nach dem Gartenhause und ließ mir sagen, daß ein Mann da sei, der mich sehr nothwendig zu sprechen habe. Da man im Orient gezwungen ist, in den Kleidern zu schlafen, so war ich sofort bereit, dem Rufe Folge zu leisten. Ich traf einen Mann, welcher mich nach meinem Namen fragte und mir dann sagte, daß ich nach dem Hause in Sanct Dimitri kommen solle, wo ich mit dem Jüterbogker Barbier gewesen sei; dieser wolle mit mir sprechen, und es sei außerordentlich eilig.
»Was will er?« erkundigte ich mich.
»Ich weiß es nicht,« lautete die Antwort. »Ich wohne in der Nähe, und der Wirth kam zu mir, um mich zu bitten, zu Dir zu gehen.«
»So sage ihm, daß ich sogleich kommen werde!«
Ich bezahlte ihm den Gang, und er ging. Bereits fünf Minuten später war ich mit Omar unterwegs. Bei der Unsicherheit eines solchen Weinhauses hielt ich es für gerathen, nicht allein zu gehen, und Halef wollte ich nicht belästigen, da er verwundet worden war. Auf unseren kleinen Miethpferden, hinter denen die Besitzer hertrabten, indem sie sich am Schwanze festhielten, ging es ziemlich schnell durch die Gassen. Als wir anlangten, kam uns der Wirth bis unter die Thür entgegen. Er grüßte höchst demüthig und fragte:
»Effendi, Du bist der Deutsche, der kürzlich mit einem gewissen Hamsad al Dscherbaja bei mir gewesen ist?«
»Ja.«
»Er will mit Dir sprechen.«
»Wo ist er?«
»Er liegt oben. Dein Begleiter mag einstweilen unten einkehren.«
Die Worte: ›Er liegt oben‹ – ließen mich auf Krankheit oder gar auf einen Unfall schließen. Während Omar in die untere Stube trat, stieg ich mit dem Wirthe die Stiege empor. Oben blieb er stehen und sagte:
»Erschrick nicht, Herr, wenn Du ihn krank findest!«
»Was ist mit ihm?«
»O, weiter nichts, als daß er einen kleinen Stich erhalten hat.«
»Ah! Wer hat ihn gestochen?«
»Ein Fremder, der noch nie bei mir gewesen ist.«
»Weßhalb?«
»Sie saßen erst beisammen und redeten sehr eifrig mit einander; dann spielten sie, und als Dein Bekannter bezahlen sollte, hatte er kein Geld. Darüber wurden sie uneinig und zogen die Messer; er war betrunken und erhielt den Stich.«
»Ist es gefährlich?«
»Nein, denn er war nicht sogleich
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