Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
könne, den Menschen lebendig zu fangen. Was den Barbier betraf, so äußerte er kein Mitleid mit demselben und sagte mir, daß er ihn fortgejagt habe, weil er von ihm mehrfach bestohlen worden sei.
Während dieser Unterredung war mein Blick wiederholt auf das aufgeschlagene Buch gefallen, welches er vor sich liegen hatte.Es schien ein Contobuch zu sein, dessen Inhalt mich nichts anging und mich auch gar nicht interessirte. Im Laufe des Gespräches irrten seine Finger wie spielend durch die Blätter, welche von ihnen hin und her gewendet wurden, und jetzt – eben blickte ich ganz zufällig wieder hin – fiel mein Auge auf einen Namen, der mich veranlaßte, meine Hand schnell auf das Blatt zu legen, damit es nicht umgewendet werde. Es war der Name ›Henri Galingré, Schkodra‹.
»Galingré in Schkodra?« fragte ich. »Dieser Name interessirt mich ganz außerordentlich. Du stehst mit einem Galingré in Skutari in Verbindung?«
»Ja. Es ist ein Franzose aus Marsilia, einer meiner Lieferanten.«
»Aus Marseille? O, das stimmt ja ganz auffällig! Hast Du ihn vielleicht einmal gesehen und gesprochen?«
»Öfters. Er ist bei mir gewesen, und ich war auch bei ihm!«
»Weißt Du nichts von seinen Schicksalen und von seiner Familie?«
»Ich erkundigte mich nach ihm, ehe ich das erste Geschäft mit ihm machte, und später hat er mir auch Manches erzählt.«
»Was weißt Du von ihm?«
»Er hatte ein kleines Geschäft in Marsilia, und das genügte ihm nicht; darum ging er nach dem Orient, erst nach Stambul, dann nach Adrianopel; dort lernte ich ihn kennen. Seit einem Jahre aber wohnt er in Skutari, wo er einer der wohlhabendsten Männer ist.«
»Und seine Verwandten?«
»Er hatte einen Bruder, dem es auch nicht in Marsilia gefiel. Dieser ging erst nach Algier und dann nach Blidah, wo er solches Glück hatte, daß der Bruder in Adrianopel ihm seinen Sohn sandte, damit derselbe im Geschäft zu Blidah seine Kenntnisse verwerthe. Dieser Sohn nahm sich ein Mädchen aus Marsilia zum Weibe und kehrte dann zu seinem Vater zurück, wo er nach längeren Jahren das Geschäft übernahm. Einst mußte er nach Blidah zu seinem Oheim, um ein größeres Geschäft mit ihm zu besprechen, und grad als er sich dort befand, wurde der Oheim ermordet und seiner ganzen Kasse beraubt. Man hatte einen armenischen Händler in Verdacht, und der jüngere Galingré zog aus, um nach ihm zu forschen, da er meinte, daß die Polizei nicht fleißig genug suche. Er ist niemals zurückgekehrt. Sein Vater ist Erbe des Oheims geworden und hat dadurch sein Vermögen verdoppelt, aber er weint noch heut um den Sohn und würde viel geben, wenn er eine Spur von ihm fände. Das ist es, was ich Dir sagen kann.«
»Nun wohlan, ich kann ihn gleich auf diese Spur bringen.«
»Du?« fragte Isla erstaunt.
»Ja. Wie konntest Du so lange schweigen! Ich habe Dir ja bereits in Ägypten erzählt, daß Abu el Nassr, welchen Omar sucht, im Wadi Tarfaui einen Franzosen erschlagen hat, dessen Sachen ich zu mir nahm. Habe ich Dir nicht auch mitgetheilt, daß dieser Franzose Paul Galingré geheißen hat?«
»Den Namen hast Du nicht genannt.«
»Ich habe noch heute den Trauring hier an meinem Finger, welcher ihm gehörte; die anderen Gegenstände gingen leider mit der Satteltasche verloren, als mein Pferd im Schott Dscherid versank.«
»Effendi, Du wirst dem alten Manne noch Nachricht geben!«
»Das versteht sich!«
»Schreibst Du ihm?«
»Ich werde sehen. Durch einen Brief kommt die Nachricht zu plötzlich über ihn. Der Weg in meine Heimat führt mich vielleicht in jene Gegend. Man muß sich diese Angelegenheit überlegen.«
Nach diesem Gespräche suchte ich Halef auf, der es zunächst gar nicht glauben wollte, daß sein Schuß fehl gegangen sei; endlich aber gab er dennoch zu:
»Sihdi, so hat mein Arm also doch gezittert!«
»Jedenfalls.«
»Aber dieser Mensch stieß doch einen Schrei aus und versank. Wir haben seinen Kopf nicht wieder gesehen!«
»Das hat er mit kluger Absicht gethan; er muß ein guter Schwimmer sein. Mein lieber Hadschi Halef Omar, wir sind rechte Thoren gewesen. Glaubst Du wirklich, daß ein Mensch, welcher eine Kugel mitten durch den Kopf bekommt, noch schreien kann?«
»Ich weiß das nicht,« meinte er, »denn ich habe noch keine Kugel durch den Kopf erhalten. Wenn man mich einmal durch den Kopf schießt, was Allah um meiner Hanneh willen verhüten möge, so werde ich versuchen, ob es mir möglich ist, zu schreien. Aber Sihdi, glaubst Du,
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