Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
zu werden.
Das geschah denn auch. Ich blieb hart hinter ihm, obgleich er seine Richtung wohl noch mehr als zehn Mal änderte. Endlich – wir waren grad durch den Kleiderbazar gekommen – schritt er auf ein ganz in der Nähe befindliches Karawanserai zu, in dessen Thor er trat. Hier konnte er mir nicht entgehen, da ich annehmen mußte, daß das Serai keinen zweiten Ausgang habe.
Nun fragte es sich nur, ob er dort wohne oder durch seinen Eintritt einen anderen Zweck verfolge. Ich wurde, als ich stehen blieb, um ihn zu beobachten, von dem Letzteren überzeugt. Er blieb nämlich hinter dem Thore stehen und recognoscirte den vor ihm liegenden Platz sehr sorgfältig, jedenfalls nach mir.
Da kam mir ein Gedanke. Ich trat zu dem nächsten Händler.
»Sallam aaleïkum!«
»Aaleïkum!« antwortete der Mann höflich.
»Hast Du ein blaues Turbantuch?« fragte ich.
»Ja, Effendi.«
»Und einen Mahluta?«
»So viele Du willst!«
»Ich habe Eile. Ich will mir Beides nur leihen, aber nicht kaufen. Mache schnell und gib mir den Mantel und das Tuch! Hier ist meine Uhr; hier sind meine Waffen; dazu gebe ich Dir meinen Kaftan und auch noch fünfhundert Piaster. Das Alles wird genug sein, Dir Sicherheit zu geben, daß ich wiederkomme.«
Er blickte mich erstaunt an. So Etwas war ihm wohl noch gar nicht begegnet.
»Effendi, warum thust Du das?« fragte er.
Um nicht aufgehalten zu werden, mußte ich es ihm sagen.
»Ich verfolge einen Mann, der mich kennt, mich aber nicht mehr erkennen soll,« antwortete ich. »Schnell, sonst entgeht er mir!«
»Allah ‘l Allah! Du bist ein gizli Aramdschi?« fragte er.
»Frage nicht, sondern eile!« gebot ich ihm. »Oder weißt Du nicht, daß der Großherr Hülfe von Dir fordert, wenn es gilt, einen flüchtigen Verbrecher zu ergreifen?«
Jetzt glaubte er fest, daß ich ein verkleideter Khawasse sei. Ich legte meinen Kaftan ab; er warf mir den Mantel über und wand mir das Tuch als Turban um den Kopf. Als ich ihm die erwähnten Gegenstände zum Pfand gegeben hatte und nun fertig war, trat ich an den Eingang, um dort zu warten.
Ich hatte den Armenier nicht aus den Augen gelassen. Er stand noch hinter dem Thore, um zu spähen. Der Gejindschi folgte mit seinem Auge der Richtung meines Blickes. Er bemerkte, auf wen meine Aufmerksamkeit gerichtet war, und fragte:
»Effendi, meinst Du den Mann, der da drüben im Thore steht?«
»Ja.«
»Er ist soeben hier vorüber gekommen?«
»Allerdings.«
»Und hat mich gegrüßt?«
»Das habe ich nicht bemerkt. Du bist also ein Bekannter von ihm?«
»Ja. Ich habe Kleider von ihm gekauft. Du denkst, daß er ein Verbrecher sei?«
»Ich werde es erfahren. Wie heißt er?«
»Du bist ein Diener des Padischah, und darum will ich ehrlich mit Dir sein. Sage, was Du wissen willst!«
»Waren die Kleider, welche Du von ihm gekauft hast, neu?«
»Nein.«
»Er ist also kein Tarzi?«
»O nein. Ich habe großen Schaden gehabt. Die Kleider waren sehr billig, aber der größte Theil wurde mir wieder abgenommen, denn sie waren Männern, die man auf der Straße angefallen hatte, abgenommen worden.«
»Bestrafte man diesen Menschen nicht?«
»Er ist hier fremd und war nicht zu finden. Und dann, als er wieder kam und man ihn ergriff, ließ man ihn um seines Geldes willen unbestraft gehen.«
»Wer ist er?«
»Er kleidet sich wie ein Bulgare, aber er ist ein Armenier und heißt Manach el Barscha.«
»Weißt Du, wo er wohnt?«
»Er ist Einnehmer des Charadsch in Uskub. Viele Armenier haben die Steuern gepachtet.«
»Und wo befindet er sich hier?«
»Wenn er in Edreneh ist, so wohnt er bald hier und bald dort, am meisten aber in dem Mehan des Handschia Doxati.«
»Wie finde ich diesen?«
»Er bewohnt das Haus gleich neben dem griechischen Metropoliten.«
Auch diesen wußte ich nicht, aber ich durfte doch nicht zeigen, daß ich hier so sehr unbekannt sei. Übrigens verließ grad jetzt der Armenier das Serai, und ich folgte ihm, nachdem ich dem Händler einen kurzen Gruß zugeworfen hatte.
Es war sicher ein sehr glücklicher Umstand, daß ich hier Jemand gefunden hatte, der diesen Manach el Barscha so genau kannte. Wer weiß, wie lange ich sonst hätte suchen und fragen müssen, ehe ich mit meiner Erkundigung an die richtige und zuverlässige Quelle gekommen wäre!
Der Armenier wendete sich zwar noch einigemal um, aber es fiel ihm nicht ein, in mir den Mann zu vermuthen, der ihn verfolgt und mit dem er sogar gesprochen hatte. Ich brauchte mich also nicht
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