Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
mehr so sehr in Acht zu nehmen, wie vorher, und sah endlich, daß er in ein Haus trat, welches allerdings ein Gasthaus zu sein schien.
In der Nähe hatte ein Kastanienhändler seinen Platz. Ich kaufte ihm eine Handvoll seiner Früchte ab und erkundigte mich bei ihm:
»Weißt Du, wer in dem großen Hause wohnt, hier zur Linken?«
»Der griechische Metropolit, Effendi.«
»Und wer hier daneben?«
»Ein bulgarischer Gastwirth. Er heißt Doxati. Willst Du vielleicht bei ihm wohnen? Es ist billig und bequem bei ihm.«
»Nein. Ich suche den Gastwirth Marato.«
»Den kenne ich nicht.«
Damit meine Erkundigung nicht auffallen sollte, hatte ich den ersten besten Namen, der mir einfiel, genannt. Ich ging fort; denn für jetzt wußte ich genug. Was nun zu thun war, mußte sich ja finden. Es galt, dafür zu sorgen, daß der Gefangene nicht entfliehen könne. Zu erfahren, in welcher Beziehung dieser Manach el Barscha zu ihm stehe, war jedenfalls nicht leicht; aber es mußte doch auf irgend eine Weise versucht werden.
Ich merkte mir das Gasthaus des bulgarischen Wirthes genau, um es, falls dies nothwendig werden sollte, selbst am Abend finden zu können, und kehrte zu Hulam zurück, dessen Wohnung zu verfehlen gar nicht schwer gewesen wäre.
Man hatte längst auf mich gewartet. Der Ausgang der Gerichtsverhandlung war Allen unlieb, und sodann hatten sie sich meine so schnelle Entfernung nicht erklären können.
»Sihdi,« meinte mein kleiner Hadschi Halef Omar, »ich sage Dir, daß ich große Sorge um Dich gehabt habe!«
»Sorge um mich? Warum?«
»Warum? So fragst Du?« sagte er ganz erstaunt. »Weißt Du denn noch immer nicht, daß ich Dein Freund und Beschützer bin?«
»Das weiß ich allerdings, mein guter Halef.«
»Nun, als Freund hast Du mir zu sagen, wohin Du gehst, und als Beschützer hast Du mich sogar mitzunehmen.«
»Ich konnte Dich nicht gebrauchen.«
»Mich nicht gebrauchen?« sagte Halef, indem er ganz energisch an seinen dreizehn Schnurrbarthaaren herumzupfte. »Du hast mich gebrauchen können in der Sahar, in Egypt, am Tigris, bei den Teufelsanbetern, in Kurdistan, in den Ruinen, deren Name mir nicht sogleich einfällt, in Stambul und überall; hier aber willst Du mich nicht gebrauchen können? Das glaube ich nicht! Weißt Du, daß es hier ebenso gefährlich ist, als in der Sahar oder im Thal der Stufen, wo wir die vielen Feinde gefangen nahmen?«
»Warum?«
»Weil man hier seine Feinde vor lauter Menschen nicht sehen kann. Oder glaubst Du etwa, ich wisse nicht, daß Du Dich eines neuen Feindes wegen entfernt hast?«
»Woher kommt Dir dieser Gedanke?«
»Ich folge stets Deinen Augen und sehe, was sie thun.«
»Nun, was haben sie gethan?«
»Sie haben beim Kadi einen Bulgaren beobachtet, der aber kein Bulgare war. Als dieser ging, bist Du schleunigst aufgebrochen.«
»Wahrhaftig, Halef, Du hast ganz recht beobachtet!« sagte ich.
»O, Sihdi,« meinte er stolz, »weißt Du noch, als wir durch das Wadi Tarfaui ritten und Du die Darb der Mörder beobachtetest?«
»Ja, das weiß ich noch.«
»Da lachte ich Dich aus, daß Du im Sande lesen wolltest. Ich war damals das, was der Türke ahmak nennt; aber ich hielt mich dennoch für außerordentlich klug.«
»Ah, Du hast unterdessen von mir gelernt! Nicht wahr?«
Er wurde einigermaßen verlegen. Er wollte doch nicht so geradezu gestehen, daß ein ›Beschützer‹ von dem Beschützten gelernt habe, und konnte es auch nicht ganz und gar verneinen. Darum antwortete er, um sich wenigstens nicht zu auffällig eine Blöße zu geben:
»Wir haben uns gegenseitig unterrichtet, Sihdi. Was Du konntest, das habe ich von Dir gelernt, und was ich wußte, das hast Du von mir angenommen. Auf diese Weise sind wir klüger geworden, so klug, daß beide, Allah und der Prophet, ihreFreude an uns haben. Wärest Du nicht ein Christ, sondern ein Gläubiger, so würde diese Freude tausendfach größer sein.«
»Was Du da sagst, muß einer sorgfältigen Prüfung unterworfen werden. Wir wollen gleich heute einmal sehen, ob Du wirklich so klug bist, wie Du denkst!«
Seine kleinen Augen blitzten beinahe zornig auf.
»Sihdi,« sagte er, »willst Du mich etwa beleidigen? Ich bin Dir ein treuer Diener gewesen, seit ich Dich kenne. Ich habe Dich beschützt in allen Gefahren des Leibes und der Seele. Ich bin Dein Freund und Dein Gönner, denn ich habe Dich so lieb, daß ich gar nicht weiß, wem mein Herz mehr gehöre, Dir oder meiner Hanneh, der Blume der Frauen. Ich habe
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