Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
bis jetzt noch nicht das Geringste zugegeben. Aber schlagen lassen darfst Du mich auf keinen Fall.«
»Warum?«
»Weil ich kein Moslem bin, sondern ein Christ.«
Während dieser Worte hatte er den Fremden bemerkt, der sich herbeigedrängt hatte. Dieser hütete sich wohl, eine verrätherische Bewegung zu machen, welche ihn in den Verdacht der Bekanntschaft oder gar des Einvernehmens mit dem Anderen hätte bringen können. Aber seine Miene, sein Blick, seine ganze Haltung war darauf berechnet, sich ihm zu zeigen und ihm Muth einzuflößen.
Man sah es dem Kadi an, daß die soeben vernommenen Worte doch einigen Eindruck auf ihn machten.
»Ein Giaur bist Du?« fragte er. »Wohl gar ein Franke?«
»Nein; ich bin ein Armenier.«
»Also doch ein Unterthan des Padischah, dem Allah tausend Leben schenken möge! Da darf ich Dich also auch schlagen lassen.«
»Du irrst,« antwortete der Armenier, indem er sich bemühte, eine möglichst sichere Haltung anzunehmen und seinem Tone einen stolzen Ausdruck zu geben. »Ich stehe nicht unter dem Sultan, auch nicht unter dem Patriarchen. Ich bin der Geburt nach ein Armenier; aber ich bin ein evangelischer Christ geworden und als Dolmetscher bei der englischen Gesandtschaft angestellt. Ich bin in diesem Augenblick englischer Unterthan und mache Dich auf die Verantwortung aufmerksam, welche Du auf Dich ladest, wenn Du mich als Unterthan des Großherrn behandeln und nun gar schlagen lassen willst!«
Der Kadi machte ein sehr enttäuschtes Gesicht. Er hatte es sich vorgenommen gehabt, dem in Adrianopel so hoch angesehenen Hulam nach allen Kräften zu Diensten zu sein, und nun kam ihm diese Aussage des Armeniers dazwischen.
»Kannst Du es beweisen?« fragte er ihn.
»Ja.«
»So beweise es!«
»Frage bei der englischen Gesandtschaft in Stambul an!«
»Nicht ich bin es, sondern Du bist es, der den Beweis zu führen hat!«
»Ich kann ihn nicht führen, da ich ja Gefangener bin.«
»So werde ich einen Boten nach Stambul senden. Aber die hundert Streiche werden sich in das Doppelte verwandeln, wenn Du mich belogen hast!«
»Ich sage die Wahrheit. Aber selbst dann, wenn dies nicht der Fall wäre, dürftest Du mich nicht schlagen lassen oder ein Urtheil über mich fällen. Du bist Kadi; ich aber verlange, vor ein ordentliches Mewlewit gestellt zu werden.«
»Ich bin Dein Mewlewit!«
»Das ist nicht wahr. Ich verlange, von den Bilad i Kamse Mollatari gerichtet zu werden. Und selbst wenn ich von einem der Kasi vernommen werden soll, darf dies nicht aus einem einzigen Manne bestehen, sondern aus einem Kadi, einem Mufti, einem Naib, einem Ajak Naib und einem Basch Kiatib!«
Die von dem Armenier angeführten Behörden bedeuten der Reihe nach: Richter, Kron- oder Staatsanwalt, dessen Stellvertreter, einen Zivillieutenant und einen Gerichtsschreiber.
Jetzt machte der Kadi ein wirklich sehr verdrießliches Gesicht. Der Grimm blitzte aus seinen Augen.
»Mensch!« rief er. »Du kennst die Gesetze und die Ordnung der Prozesse so gut und hast die Gesetze doch übertreten. Ich werde dafür sorgen, daß Deine Strafe eine dreifache wird!«
»Thue, was Du willst, aber sieh zu, ob es Dir auch gelingt. Ich protestiere im Namen des Gesandten von Großbritanien gegen die Schläge, welche Du mir zugedacht hast!«
Der Kadi blickte uns verlegen der Reihe nach an und sagte dann:
»Das Gesetz zwingt mich, auf Deine Worte zu hören. Glaube aber nicht, daß Deine Sache dadurch eine für Dich bessere Wendung bekommt. Du bist ein Mörder und wirst Deinen Kopf lassen müssen! Führt ihn in das Gefängniß zurück, und bewacht ihn zehnfach strenger als alle anderen Gefangenen!«
Der Armenier wurde abgeführt und warf vorher einen Blick des Triumphes und Einverständnisses auf den Fremden, welcher diesen Blick erwiederte, ohne daß dies – außer von mir – bemerkt worden wäre.
Sollte ich den Kadi auf diesen Mann aufmerksam machen? Was konnte es nützen? Selbst wenn der Fremde dem Gefangenen näher als gewöhnlich bekannt war, lagen keine Gründe vor, sich amtlich seiner zu bemächtigen. Und falls dies auch geschehen konnte, so war zu erwarten, daß diese Beiden sich sicherlich nicht verrathen würden. Ich traute überdies dem Kadi gar nicht zu, der rechte Mann für so verschlagene Leute zu sein. Darum beschloß ich, diesen Fremden ganz im Stillen auf mich zu nehmen.
Die Sitzung war beendet, und die Zuschauer entfernten sich. Der Kadi trat zu Hulam, um sich zu entschuldigen, und Osco, der
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