Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ich die Hand nach ihm aus, so trat er zurück und sprang auf das Pferd zu. Ich hatte so Etwas vorausgesehen. Er hatte den Fuß noch nicht im Bügel, so erfaßte ich ihn und warf ihn zu Boden.
»Bleibe liegen, sonst jage ich Dir eine Kugel durch den Kopf!« drohte ich. »Deine Geschicklichkeit mag hinreichend sein für das Kloster der Tanzenden in Stambul; aber mir zu entwischen, reicht sie nicht aus!«
Ich durchsuchte seine Taschen, ohne daß er mir Widerstand leistete; aber ich fand nichts. Auch in der Satteltasche suchte ich vergeblich. Da fiel mir mein Geldbeutel ein. Ich zog ihn hervor. Er enthielt eine Anzahl von Goldstücken, welche ich nicht besessen hatte, und richtig, da steckte auch der Zettel mit den drei Zeilen, welche im Nestaalik geschrieben waren, in jener nach links halb schiefen Schrift, welche zwischen der flüchtigen arabischen Currentschrift (Neskhi) und dem sehr schiefen Taalik mitten inne liegt.
Jetzt war ich befriedigt. Ich hatte keine Zeit, den Zettel zu entziffern; ich steckte ihn also wieder ein und sagte:
»Ich hoffe, daß diese Zeilen denn doch etwas Wichtiges enthalten werden. Du weißt natürlich, wohin Dein Vater sich gewendet hat?«
»Ich weiß es nicht, Effendi.«
»Das darfst Du mich nicht glauben machen wollen!«
»Er war bereits fort, als ich gestern in Edreneh ankam!«
»Aber Du hast doch erfahren, wohin er geht. Jedenfalls reitet er nach Iskenderiëh, wo Hamd el Amasat, sein Bruder, der Dein Oheim ist, auf ihn wartet.«
Bei diesen Worten that ich nicht, als ob ich ihn scharf beobachtete. Es glitt Etwas wie Befriedigung über sein Gesicht. Nach Iskenderiëh war sein Vater also nicht.
»Es ist möglich,« antwortete er; »aber ich weiß es nicht. Nun jedoch sage mir, Effendi, was Du mit mir beabsichtigst!«
»Was denkst Du wohl?«
»Du wirst mich fortreiten lassen.«
»Ah! Nicht übel! Also nicht gehen, sondern reiten willst Du!«
»Das Pferd ist ja mein Eigenthum!«
»Und Du bist mein Eigenthum, folglich gehört auch das Pferd mir. Ich werde mich sehr hüten, Dich laufen zu lassen!«
»Aber Du bist ja frei, und ich habe Dir nichts zu Leid gethan!«
»Das nennst Du Nichts? Du wirst mich nach Edreneh begleiten, und zwar nach dem Hause, in welches Ihr mich gestern Abend gelockt habt. Ich bin doch neugierig, zu erfahren, wer da wohnt. Natürlich geht der Kadi mit.«
»Effendi, das wirst Du nicht thun! Ich habe vernommen, daß Du ein Christ bist, und daß Isa Ben Marryam, Euer Heiland, Euch geboten hat: Liebet Eure Feinde!«
»So gibst Du also zu, mein Feind zu sein?«
»Ich war nicht der Deinige, sondern Du warst der meinige geworden. Ich hoffe, daß Du ein guter Christ bist und dem Gebote Deines Gottes Gehorsam leistest!«
»Das werde ich gern thun!«
»Nun, warum lässest Du mich da nicht frei, Effendi?«
»Eben weil ich dem Gebote gehorsam bin, Ali Manach. Ich liebe Dich so sehr, daß ich gar nicht von Dir lassen kann!«
»Du spottest meiner! Ich zahle Dir ein Lösegeld!«
»Bist Du reich?«
»Ich nicht, aber mein Vater wird es bald sein.«
»Er wird seinen Reichthum gestohlen und geraubt haben. Solches Geld möchte ich gar nicht berühren!«
»So gebe ich Dir anderes. Du sollst das Deinige zurückerhalten!«
»Das meinige? Hast Du Geld von mir?«
»Nein; aber der Bote ist bereits fort, um in Stambul das Geld zu holen, welches Du uns für Deine Freiheit bezahlen solltest. Lässest Du mich frei, so erhältst Du es zurück, sobald er es bringt.«
»Oh, Ali Manach Ben Barud el Amasat, Du hast Dir in Stambul den Verstand vertanzt! Euer Bote wird nicht einen einzigen Piaster erhalten. Den Namen, welchen ich Euch nannte, gibt es gar nicht. Und der Perser, den der Bote vielleicht aufsucht, kennt mich gar nicht!«
»Effendi, so hast Du uns getäuscht? Wir hätten also kein Geld empfangen?«
»Nein.«
»So wärest Du ja verloren gewesen!«
»Das wußte ich. Ich wäre aber wohl auch verloren gewesen, wenn man das Geld bezahlt hätte. Übrigens habe ich mich nicht gar sehr vor Euch gefürchtet, und daß ich daran Recht that, habe ich Dir bewiesen: – ich bin frei.«
»So willst Du mich also wirklich als Gefangener nach Edreneh bringen?«
»Ja.«
»So gib mir das Geld zurück, welches ich in Deinen Beutel gethan habe!«
»Warum?«
»Es gehört mir. Ich brauche es. Ich muß essen und trinken, auch wenn ich im Gefängnisse bin.«
»Man muß Dir geben, was Du brauchst; Leckereien werden es allerdings nicht sein. Übrigens schadet es einem Tanzenden
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