Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Strahle der Sonne wieder emporzusteigen, wirkt ohne Unterlaß auflösend, fortführend und neugestaltend und bildet den Schlüssel, welchem sich die Fruchtbarkeit der Erde öffnet, um Leben und Bewegung selbst aus dem todten Steine springen zu lassen.
Die alte Anschauung von der Vierzahl der Elemente, Feuer, Wasser, Luft und Erde, ist nicht so absurd und lächerlich, wie es Dem und Jenem zuweilen erscheinen mag. Wenn diese vier Dinge auch nicht die Grundbestandtheile der Naturkörper bilden, so liegen in ihnen doch die Grundbedingungen alles irdischen Lebens, und wenn die Erde den Schauplatz zu diesem Leben bietet, so ist es das Wasser, welches der Luft und dem Lichte den Zugang ermöglicht und ihre Wirkungen vorbereitet.
Und dieses Leben, es blüht und glüht nicht blos auf der Erde, sondern es legt seine unzähligen Gestaltungen ebensowohl in den winzigsten Tropfen wie in die ewig sich neugebährenden Fluthen des unermeßlichen Oceans. Ja, gerade im Wasser begegnet das Auge des Kundigen einer größeren, reicheren und fast überwältigenden Menge von Lebensformen, als außerhalb desselben im freien Lichte der Sonne.
Fragen wir nicht, wie beide, Land und Wasser, sich in einer Schöpfungsperiode bildeten, welche um viele Jahrtausende hinter der Gegenwart liegt. Sie sind da und tragen das Ihrige zu den Bestandtheilen des Körpers bei, welcher uns und allen irdischen Wesen gegeben ist. Bewundern wir vielmehr die Allmacht Gottes, welche aus einer Hand voll Staubes und einer kleinen Menge Wassers Körper formte, deren Darstellung selbst der größesten Kunst und Wissenschaft eine ewige Unmöglichkeit bleiben wird und die zur Wohnung von Geistern dienen, deren Ursprung und Zukunft als unerforschte Räthsel in der Hand des himmlischen Vaters liegen.
Die alten Bewohner Mesopotamiens erzählten sich eine Geschichte von Oannes, dem großen Lehrer, welcher aus den Fluthen des Wassers stieg, um die Menschen zu unterrichten in Allem, was ihnen zu wissen nöthig war. Diese Sage sollte den Einfluß bezeichnen, welchen das flüssige Element auf die Entwickelung der Erde und ihrer Bewohner hervorbringt, die durch die friedlichen oder zerstörenden Wirkungen des Wassers freiwillig oder gezwungen zu Betrachtungen und Beobachtungen geführt wurden, deren kluge Befolgung eine immer weitere Bildung nach sich zog.
Wenn der Psalmist die Angst seines Herzens nicht besser und wahrer zu beschreiben vermag, als durch die Worte: »Gott, hilf mir, denn das Wasser gehet mir bis an die Seele!« so durfte er für eine Qual seines Herzens Trost bei dem Allgütigen suchen und finden; wenn aber die wirklichen Fluthen über das Land brausen und dem bedrohten Menschenkinde »bis an die Seele gehen,« so führt kein Gebet, sondern die kräftige Anstrengung seines schwimmenden Armes ihn an das rettende Ufer, und die Noth und Gefahr wird ihm zur Lehrerin, deren Stimme er niemals wieder vergessen kann.
Wie sehr die todte, starre Erde des belebenden Wassers bedarf, zeigt sich am Augenfälligsten da,
» … wo sich im Sonnenbrande
Die öde Hammada erstreckt
Und man im glühend heißen Sande
Nicht einen grünen Halm entdeckt,«
wo die zitternden Reflexe des Sonnenlichtes sich als Mark und Bein verzehrende Fluth über den sterilen Boden lagern und es nur dem künstlich emporgezwungenen Tropfen gelingt, aus dem versengten Lande eine Oase, »das grünende Auge der Wüste,« hervor zu zaubern. Und der Segen des einzelnen Tropfens wächst mit dem hervorsprudelnden Quell, dem schwellenden Bache, dem rauschenden Strome und findet seine größte Bedeutung in den »Leben spendenden Wogen des Meeres.«
Darum waren schon in den ältesten Zeiten die Wellen der Schauplatz heiliger Handlungen, ja sogar Gegenstand der Anbetung, darum sprach Christus am Brunnen zu Sichar vom »Wasser des Lebens«, und darum knüpfte er an das Wasser sein Sacrament von der Aufnahme in den Bund der christlichen Kirche.
Anfänglich stand der Mensch rathlos vor dem brausenden Schwalle der Brandung und schrieb sein »Finisterre« an die vom schäumenden Gischte bedeckten Felsen der Meeresküste. Bald aber trieb ihn die Notwendigkeit oder der Unternehmungsgeist hinaus auf die offene See; die Ungeheuer, mit denen seine ängstliche Phantasie die feuchte Tiefe bevölkert hatte, kleideten sich in freundliche Formen; die Säulen des Herkules, die Scylla und Charypdis verloren ihre Schrecken, und das kühne Auge des Entdeckers erkannte in dem »weltumgürtenden« Oceane einen
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