Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Er klopft im Pulse des Menschenherzens wie im wogenden Busen des Meeres, er blitzt im Leuchten des Wetters und fährt durch die Himmel auf grollendem Donner, er waltet im Keime des Senfkornes und rauscht durch die riesigen Blätter des heiligen Zamang, er zuckt in der kleinsten Molluske und dampft aus den Nüstern des Wales, er rollt auf dem klingenden Wüstensande und braust um die stürzende Lawine, er leitet die kleinste Bewegung und beherrscht das riesigste Leben, ja, selbst die leblose Creatur ruht in seiner Hand: er sammelt in Adern das schimmernde Metall, macht aus Erde den leuchtenden Krystall, hebt die Giganten des Gebirges empor und schleudert die Flamme der Unterwelt durch die speienden Krater der Vulkane.
Nicht seine Gesetze sind es, sondern er selbst ist das Gesetz, nach welchem die Erde ihre Schluchten und Abgründe öffnet, ihre Ebenen dehnt und ihre Berge dunkel und schwer wie drohende Wolkenmassen sich höher und höher wölben und thürmen läßt. »Die Berge sahen Dich,« ruft der Prophet, »und ihnen wurde bange; der Strom des Wassers fuhr daher, die Tiefe ließ sich hören und die Höhe hob ihre Hände auf.« Nicht ein blinder Zufall ist es, welcher diesen Höhen ihre Richtung gegeben, den Flächen ihre Grenzen gesteckt und den Thälern ihren Lauf bezeichnet hat, sondern die bildenden und umgestaltenden Kräfte der Natur müssen, gehorsam einem allweisen und allgütigen Willen, ihre Felsenmauern grad’ an dem Orte und in der Weise errichten, wo und wie es für das Bestehen und Wohlbefinden unserer sublunarischen Daseinsformen erforderlich und ersprießlich ist. Und dann schlägt, wie einst sein diener Moses, der Allmächtige an das todte Gestein, daß es sich öffnet, sich zertheilt, sich auflöst und Leben und Segen aus ihm hervorquillt für das weite Land und Alles, was auf demselben sich regt und bewegt.
Wie eine zwar oft zu Boden gerungene, immer aber stolz und siegreich sich wieder erhebende Riesin, den majestätischen, festen und langsamen Schritt zuweilen zu einem weiten, kühnen Sprunge beschleunigend, läuft jene Gebirgskette, welche aus dem sturmdurchwühlten Meere des Cap Horn an das Land von Südamerika steigt, nach Norden, wälzt ihre steinernen Wogen über die Landenge von Panama, senkt sich nieder in die Schnee- und Eisfelder der polarischen Zone, überschreitet, von Schritt zu Schritt das Felsenhaupt aus den Fluthen tauchend, die See von Kamtschatka, breitet ihre sich immer höher und machtvoller reckenden Glieder vom Lande der Tschuktschen aus über die ganze ungeheure Ländermasse, welche aus dem indischen Oceane sich erhebt, um im nördlichen Eismeere sich wieder zu verlieren, reckt die Mittelländer Afrika’s zum Himmel auf und tritt herüber in das vielgespaltene Europa, welches sie in den mannigfaltigsten Zügen und Windungen liebevoll stützt und umarmt, um dann über den Dschevel al Tarik Anschluß zu suchen oder in den Insel des atlantischen Meeres sich zu verlieren.
Diese mächtige Reihenfolgen von Gebirgen bildet das Knochengerüste der Erde, welches dem Festlande Gestalt, Halt, Dauer und Physiognomie verlieht, die physikalischen Verhältnisse regelt und jedem Leben, jeder Bewegung einen deutlich erkennbaren Character aufprägt.
An dieses Gerippe legen sich die Flach- und Tiefländer der Erde, wie das Fleisch um das Skelet des animalischen Körpers, und die Vereinigung beider ist eine so verschiedene, daß die Oberfläche unseres Planeten in Beziehung auf ihre Gestaltung die reichste Abwechselung bietet.
Das Gebirge, um welches sich das Festland Amerika’s lagert, sind die Anden, deren in Südamerika verlaufender Theil von den Geographen vorzugsweise mit dem Namen der Cordilleren bezeichnet wird. Dieses Wort heißt zu deutsch »Kette« und giebt ein deutliches Bild von der Gestaltung der ohne Unterbrechung fortlaufenden Bergesreihen.
Den Cordilleren gebührt der Ruhm, das längste Gebirge der Erde zu sein, wenn man einmal von der innern Zusammengehörigkeit sämmtlicher Bodenerhebungen absehen will. Freilich ist ihre Breite eine desto unbedeutendere, denn sie beträgt in Südamerika durchschnittlich kaum 18-20 Meilen, während die Länge 2000 deutsche Meilen noch übersteigt.
Wenn man von den Ebenen Brasiliens nach Westen vordringt, so erblickt man auf einmal einen mächtigen Damm, welcher den Horizont abschließt und in sanften Umrissen, umwoben von dem lieblichen Dufte der Ferne, sich anfangs darstellt, bald aber aus dieser Umhüllung hervortritt und sich
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