Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Sammelplatz unerschöpflichen Reichthums und die Tummelstätte eines alle Länder verbindenden und alle Völker mit sich fortreißenden Verkehres.
Die Gefahren und Wunder des Oceans, welche den früheren Menschen erschreckten, haben dem männlicher gewordenen Geiste gegenüber ihr Fürchterliches verloren und reizen ihn zu jenem fruchtbaren Forschen und Wagen, welches trotz allen Martyrerthums für Wissenschaft und Leben gleich große Erfolge in sich birgt. Sein »Sesam, thue dich auf!« schallt gebieterisch über die Schätze bergenden Wasser; seine segelbefiederten Adler schlagen, vom hohen Stapel stürzend, ihre schimmernden Schwingen von Küste zu Küste, von Continent zu Continent; seine Dampfräder schäumen durch Ebbe und Fluth, und seine Maschinen bohren die mächtigen Schrauben durch Strudel und Strömungen; seine Eisenschienen überbrücken die Arme der Meere, seine Tunnels steigen bis unter den Grund der Flüsse und des Oceans, und sein geflügeltes Wort zuckt mit dem electrischen Funken hoch in der Luft und tief unten im Grunde der See rund um die wirbelnde Erde. Für ihn hat »das Wasser Balken,« denn er ist Herr des Elementes geworden, welches nur Dem sich feindlich zeigt, welcher sich muthlos und feig vor den Gewalten beugt, die dem Geschlechte der Menschen zu Diensten bestimmt sind.
Land und Wasser. Wie verschieden sind beide einander, und doch giebt es Aehnlichkeiten zwischen ihnen. Man stelle sich auf den Stock eines hohen Gebirges und werfe das Auge auf die rundum in immer größerer Tiefe und Entfernung sich wellenförmig wölbenden, bald den blitzenden Sonnenstrahl zurückwerfenden, bald in Grün sich kleidenden und in dunstblauer, nebelhafter Ferne sich verlierenden Bergeskuppeln, und der Eindruck wird derjenige eines Meeres sein, dessen Wogen unter dem Winke eines allmächtigen Willens mitten im Sturme zu Stein erstarrt sind. Und man stelle sich an das Ufer des Oceans; man sehe, wie seine Fläche sich weit und immer weiter ausbreitet, eine Welle, eine Woge hinter der andern sich emporthürmt und die drohenden Wasser aufsteigen wie eine in verschwimmender Höhe bis in die Wolken und den Aether reichende Wand, und der Eindruck wird derjenige einer Gebirgsmasse sein, welche, in den Gluthen des Erdinnern brodelnd und von denselben emporgehoben, ihre Häupter und Gipfel in ewiger Bewegung durcheinander wirft. –
Wenn Lenau sagt:
»Wie mich oft in grünen Hainen
Ueberrascht ein dunkles Weh,
Muß ich nun auch plötzlich weinen,
Weiß nicht wie, hier auf der See,«
so klingt aus seinen Worten die Aehnlichkeit zwischen Land und Wasser in der Wirkung, welche der Anblick des Mächtigen, des Erhabenen in der Menschenbrust hervorbringt. Es ist jenes Empfinden der gegenwärtigen Kleinheit und Bedeutungslosigkeit, jenes Ahnen einer besseren und höheren Zukunft, welches das Herz beschleicht, den Busen schwellt und das Auge unwillkürlich mit wehmüthigen und doch wohlthuenden Thränen befeuchtet. Und wer diese Macht des Eindruckes empfunden, der kann und mag nimmer davon lassen. Mag die Armuth den Gebirgsbewohner weit hinaus in die Fremde, hinunter in das flache Land treiben, er muß doch zurück und findet Ruhe nur zwischen den aufstrebenden Zacken seiner Berge, und mag der Seemann weit hineinwandern in das grünende und blühende Land und schwelgen in Vogelsang und Blumenduft, es kommt doch die Stunde, in welcher ihn die Sehnsucht nach dem Meere übermannt und ihn zurückzieht auf die Planken seines Fahrzeuges, wo er dem gewohnten Sogge lauschen und dem Sturme kühn die Stirn bieten kann.
Ihm ist das Meer die Geliebte, welche mit ihrer Schönheit seine Sinne gefangen nimmt, in nie sich erschöpfender, wechselvoller Laune ihn in steter Arbeit und Bewegung erhält und sich bald mit freundlichem Lächeln, bald mit schmollendem Zürnen, bald mit drohender Erregung seinen Willen unterwirft.
Ja, es ist wahr, mag das Festland der Gefahren und Abenteuer noch so viele bieten, so ist doch die See das fruchtbarste Feld zur Bewährung des persönlichen Muthes, der Besonnenheit, der Geistesgegenwart, überhaupt der Ueberlegenheit des Geistes über die Materie. Denken wir uns einen Sturm, wie ihn der Dichter beschreibt:
»Und siehe, aus der weiten Ferne
Zieht doch das Wetter schon heran;
Es fliehen ahnungsvoll die Sterne
Und der Passat wird zum Orkan.
Da glühet in dem Wetterleuchten
Der aufgeregten Wogen Gischt,
Die, als ob sie zum Himmel reichten,
Sich bäumen, daß es dampft und
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