Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
schimmernde Reflexe tanzen auf den spielenden Wellen und hell, treu und aufrichtig schauen die zurückgeworfenen Bilder aus der krystallenen Fluth empor. Und wenn des Vollmondes magnetische Helle den Schleier der Wolken durchbricht und geheimnißvolle Nebel um Busch und Strauch sich dehnen, dann beginnt die Fluth zu wallen; denn das Feenschloß da unten auf dem Grunde hat seine Thore geöffnet und ihm entsteigt die Herrscherin in wunderbarer, sinnverwirrender Schönheit, um das Reich der Sterblichen zu besuchen und den Tanz der Elfen zu belauschen.
Vermählt sich der Laub- mit dem Nadelwalde, so entsteht jene liebe Vereinigung von Hell und Dunkel, von Zartheit und Kraft, welche mit dem bekannten
»O Thäler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt’ger Aufenthalt!«
gemeint ist und die Freundlichkeit des einen mit dem Ernste des anderen in die innigste Verbindung bringt.
Da giebt es sowohl für die Lust als auch das Weh des Menschenherzens ein lauschiges Plätzchen, an welchem man dem Walde, dem verschwiegenen, das stille Glück vertraut oder den nagenden Kummer klagt, und dazu rauschen die Wipfel und flüstern die Zweige so theilnehmend und beschwichtigend; das Herz wird ruhig, der Glaube schlägt wieder Wurzel, die Hoffnung grünt, das Vertrauen erstarkt, der entmuthigte Wille ermannt sich zu neuer That und beim Scheiden aus schattigem Grunde ertönt es mit neuem Muthe:
»Was wir still gelobt im Wald,
Wollens draußen ehrlich halten,
Ewig bleiben treu die Alten,
Bis das letzte Lied erschallt!«
5.
Mensch und Thier
»Herr, wie sind Deine Werke so groß;
Deine Gedanken sind so sehr tief!«
Psalm 92, 6.
Nicht zufällig stellt der Psalmist in diesem Worte die Begriffe »Werk« und »Gedanke« neben einander; denn während bei dem Menschen das Denken dem verständigen Wirken vorangeht und es begleitet, muß jeder Gedanke der göttlichen Allmacht sofort Gestalt und Wesen annehmen und als Erschaffenes, als Creatur sich offenbaren.
Die Gesetze, Kräfte und Erscheinungen der Natur sind nichts Anderes, als in die Zeitlichkeit getretene Gedanken des Ewigen, durch eine unfehlbare und allweise Logik zu einer Predigt verbunden, welche ebensowohl den strengen Ernst einer allwaltenden Gerechtigkeit, wie das Evangelium einer unendlichen Liebe verkündigt. Diese wunderbare Logik zeigt sich als eine lückenlose und Stufe für Stufe fortschreitende Entwickelung des nächst Höheren und Vollkommeneren aus dem vorangehend Niederen, aber seinem Zwecke vollkommen Entsprechenden, und wo das schwache Auge des Sterblichen eine Lücke in der Kette der Schöpfung zu gewahren vermeint, da thut sich dem späteren und schärferen Blicke das Geheimniß kund, daß die Woche des Schaffens noch nicht bis zu dem siebenten Tage, dem großen Sabbathe der Ruhe vorangeschritten sei.
Jede höhere Stufe kennzeichnet sich durch eine größere Selbstständigkeit des Lebens, eine vermehrte Freiheit der Bewegung und eine immer deutlicher ausgesprochene Individualität (Persönlichkeit).
Das erste Lebenszeichen unseres Planeten bestand in der durch elementare Bewegungen hervorgebrachten Bildung und Gestaltung der Erdmasse. Wir haben diesem gewaltigen Gähren und Treiben nicht beigewohnt; aber wir sehen es, zu Stein erstarrt, seine Felsenwogen aus der Tiefe emportragen und erkennen in jeder Anschwemmung oder Ablagerung des irdischen Stoffes und jeder metallischen oder krystallinischen Erscheinung den wahrheitstreuen Zeugen einer Jahrmillionen umfassenden Entstehungsperiode. Die hierbei thätigen Urgewalten arbeiten noch heut an der Umgestaltung des Stoffes, und die allmälig aber sicher vor sich gehende Veränderung der Erdoberfläche giebt in einer ununterbrochenen Bewegung den Beweis, daß fortwährendes und bis heut’ noch nicht erloschenes Leben selbst die starre und an sich todte Materie beherrsche.
Diese unselbstständige Bewegung, dieses willenlose Leben des Unorganischen gewinnt immer wachsende Freiheit erst im Reiche der organischen Körper, welche bis hinauf zum Menschen einen immer bestimmter erkennbaren persönlichen Character zur Geltung bringen.
Die Pflanze hat sich mit den edleren und feineren ihrer Glieder schon von der Erde losgerissen. Zwar kriechen ihre niederen Gattungen und Arten noch am Boden hin, aber die höheren streben kühn empor zum Sonnenlichte und zahlen nur im Blätterfalle dem Boden, welcher sie tyrannisch an den Wurzeln hält, den schuldigen
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