Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
irdischen Verhältnisse folgt dem Laufe der Sterne, geht also von Osten nach Westen,« heißt das erste und oberste Gesetz, nach welchem sich alle fruchtbringende Bewegung auf unserm Planeten regelt. Man hat das Vorhandensein eines solchen Gesetzes von verschiedenen Seiten lebhaft bestritten, aber es ist nicht zu leugnen, daß die Meinung Derer, welche sich zu ihm bekennen, Vieles für sich habe.
Der Osten, also Asien, ist die Geburtsstätte des Menschen, und von hier aus breitete sich die immer wachsende Bevölkerung nach Westen aus und überschritt den Kaukasus ebenso wie die Landenge von Suez, um Afrika und Europa in Besitz zu nehmen. Von Letzterem ward erst Grönland und dann Amerika entdeckt und der Inselkreis des südlichen Weltmeeres in Besitz genommen. Mit dem Menschen wanderte Alles seiner Herrschaft Unterworfene von Osten nach Westen. Die Thiere, welche er zu zähmen verstanden hatte, zogen mit ihm, und die Pflanzen, welche seinem Eigenthumsrechte unterlagen, versetzte er an seinen jedesmaligen neuen Wohnsitz. Beide, Thiere und Pflanzen, lernten, sich acclimatisiren und erlangten nach und nach diejenigen Eigenschaften, durch welche sie befähigt wurden, die Zonenunterschiede in möglichst hohem Grade zu überwinden. Alle unsere Hausthiere, alle unsere Culturpflanzen haben – mit wenigen Ausnahmen – ihre Heimath in Asien und während ihrer Jahrhunderte langen Wanderungen sich die hohe Befähigung angeeignet, uns rund um den Erdball treue Begleiter zu sein.
So lange diese Bewegung sich von Osten nach Westen, nach Süden oder Norden richtet, ist sie eine erfolgreiche, während die umgekehrte Richtung entweder eine sofort verunglückte genannt werden muß oder einen kurzen Segen bringt, welcher sich schließlich in Unsegen verwandelt. Es mag Mühe kosten, die Ursachen dieser Erscheinung zu ergründen, aber die Erscheinungen selbst sind nicht zu leugnen und ebensowenig die Deutlichkeit, mit welcher sie auf ein bestimmtes und unumstößliches Gesetz hindeuten, in Folge dessen sie in das Leben treten.
Wie lange hatten die Eroberungen der alten Babylonier, Assyrer, Meder, Perser, Macedonier und Römer Stand? Warum sind die Chinesen schon seit über tausend Jahren zu einem vollständigen Culturmüßiggang verdammt? Welche Früchte haben uns die Kreuzzüge gebracht und die Römerzüge der Hohenstaufen gegenüber den unermeßlichen Verlusten, die wir durch sie erlitten? Warum mußte Napoleon der Große seine Kaiserkrone verlieren, sobald er sich gen Osten wagte? Warum sind die Völker des amerikanischen Festlandes dem Untergange geweiht? Eine Unzahl ähnlicher Fragen drängt sich dem aufmerksamen Freund der Geschichte auf, und es mag wohl sein, daß bei Beantwortung derselben sowohl örtliche als auch individuelle Gründe in Miterwägung gezogen werden müssen, immer aber wird als Hauptursache das oben angegebene Gesetz zu nennen sein.
Diesem Gesetze gegenüber kann man mit nicht sehr großem Vertrauen an die Zukunft der russischen und englischen Eroberungen in Asien denken. Der Spötter mag immerhin lächeln, aber die Geschichte geht unbeirrt ihren großen, ruhigen Schritt und zeigt wohl zuweilen ein nachsichtiges Schweigen, läßt sich aber nun und nimmermehr einen Ungehorsam gegen ihre eigenen Gesetze abtrotzen. Giebt es doch Gelehrte, welche den Fortbestand der Kartoffel in Zweifel ziehen und dabei auf die Krankheit hindeuten, welcher diese segensreiche Pflanze unterliegt, weil wir sie nicht dem Osten, sondern dem Westen verdanken.
Auch das Leben der Nationen, der Völker hat seine Ströme und Straßen, auf denen es sich ausbreitet oder welche seinen inneren Bewegungen Richtung geben. Der größeste, der gewaltigste Strom verdankt seinen Ursprung der Quelle, die dem dunklen Schooße der Erde entsteigt, aus den von allen Seiten herbeiströmenden Zuflüssen Vergrößerung zieht, durch ihre immer wachsenden Gewässer nach allen Richtungen Segen spendet und nach Lösung der ihr gewordenen individuellen Aufgabe sich mit den Wogen des Meeres vermählt, um nun der großen, allgemeinen Bestimmung des Oceanes sich dienstbar zu machen. So auch das Volk. Seine Anfänge sind klein, und sein Ursprung führt meist in das Dunkel der Verborgenheit zurück. Aber die ihm innewohnende Lebenskraft treibt es vorwärts zwischen den mannigfach gewundenen Ufern, welche ihm von den außer ihm liegenden Verhältnissen gezogen werden, an denen es sich reibt und die ihm innewohnenden Kräfte erprobt, um unter segensvoller Thätigkeit
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