Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
und ausgedrückt wird. Die Polygamie, das Zusammenleben eines Mannes mit mehreren oder wohl gar vielen Frauen, entspricht sowohl dem Wesen der Ehe als auch der Aufgabe des Menschengeschlechtes so wenig, daß nicht nur jene Worte keine Anwendung auf sie finden können, sondern ihr Fluch sich über ganze Völkerschaften, über ganze Erdtheile gelegt hat, und der Polyandrie, dem Zusammenleben eines Weibes mit mehreren Männern, sei hier nur Erwähnung gethan.
Da keines der beiden Geschlechter für sich allein den Charakter der Menschheit darzustellen vermag, sondern beide darin sich ergänzen müssen, so hat der Drang nach einer geordneten Vermischung der Geschlechter für die Erfahrung aller Zeiten und Völker die Ehe als eine moralisch, rechtlich und physisch nothwendige Einrichtung bezeichnet, die sich als Selbstzweck im Welt- und Staatsleben zu bethätigen hat. Der Streit über den Zweck der Ehe ist daher ein sehr müßiger. Man hat als denselben angegeben die Befriedigung des Geschlechtstriebes, die Erzeugung und Erziehung der Kinder, die gegenseitige Aushilfe und Unterstützung u.s.w., und wenn jeder dieser Zwecke einzeln auch ohne die Ehe erreichbar ist, so sind sie in ihrer Vereinigung doch nur in derselben zu erlangen.
Die Polygamie widerspricht sowohl der Natur, als auch der Rechtsidee, weil durch sie das eine Geschlecht Mittel für die Zwecke des andern und also die Gleichheit aufgehoben wird. Ebenso ist sie von der Politik nicht gut geheißen, denn noch nie ist es einem der Vielweiberei unterworfenen Volke gelungen, sich je auf eine solche Stufe der Freiheit und Cultur zu erheben, wie sie von denjenigen Völkerschaften, welche in Monogamie leben, erreicht wurde. Alle jene Nationen des Orients, von deren Heldenthaten uns die Geschichte erzählt, deren Zukunft eine große und endlose zu sein schien und die trotzdem nach kurzer Zeit mitten im Siegeslaufe stehen blieben, Ruhm und Ehre vergaßen und die Sclaven der von ihnen Unterjochten wurden oder gar verschollen, sie fanden ihren politischen Tod im Harem, in den Armen ihrer Frauen, welche die Glieder der Helden von dem Harnische befreiten und sie in Gewänder schlugen, in denen Entnervung und Verweichlichung ihr Loos wurde.
Sämmtliche Culturvölker des Alterthums haben die Ehe als eine heilige und segensvolle Institution betrachtet. Bei den Juden galt die Unfruchtbarkeit für eine Schande, und die Wittwe wurde getröstet durch die Verheirathung mit einem Nächstverwandten. Bei den Griechen mußte, nach der Volksansicht, die ja oft größere Macht ausübt, als das Gesetz, jeder freie Mann heirathen, sobald er die geschlechtliche Reife erlangt hatte, und es galt als Glück für ein Mädchen, einen Mann zu bekommen und eine einträchtige Ehe zu führen. In Rom war die Ehe Pflicht und die Hagestolzen mußten eine gesetzliche Strafe erlegen. Bei den alten Deutschen standen die Frauen in hohem Ansehen, und darum galt die Ehe bei ihnen so heilig, daß die Achtung vor den Frauen selbst durch das sittenlose Mittelalter ein auszeichnendes Erbtheil unserer Altvordern geblieben ist und das Wort »deutsche Frau« einen guten und hellen Klang hat überall, wo die Bildung und Gesittung ihre Wurzeln geschlagen hat.
Der Ruf zur Ehe klingt tief aus der Natur des unverdorbenen Menschen heraus, und nur der Unverstand kann die Behauptung aufstellen, daß aus der Emancipation der Geschlechter dem Einzelnen wie dem Großen und Ganzen Heil und Segen ersprießen könne. Während hier nur die Befriedigung von körperlichen Bedürfnissen im Auge behalten wird, blüht in der Ehe das schönste Glück des Erdenlebens in dem seligen Schlage zweier Herzen, welche in innigem Verständniß für einander ihre Gefühle ineinander schmelzen und jenes alte aber wohlbezeichnende Wort zur Wahrheit machen: »Zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag!«
Wenn die Zeit der Kinder- und Schuljahre verflossen ist und der junge Flaum sich auf der Lippe zu kräuseln beginnt, wenn im Herzen des Mädchens sich ein bisher unempfundenes Drängen und Treiben und jenes bisher unbekannte Sehnen geltend macht, welches belebend und verschönernd nach Außen tritt und Busen, Arm und Wange rundet, dann beginnen sich leise die Fluthen zu regen, aus welchen Venus, die Göttin der Liebe, in bezaubernder und bestrickender Holdseligkeit emporsteigt, um ihr mildes, beseligendes Scepter zu führen. Der Puls klopft beschleunigt unter jenem Streite zwischen Ahnen und Wissen, zwischen Vermuthen und
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