Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Erkennen, welcher nur durch ein leises, leises »Ja« geschlichtet werden kann, und Niemand wohl hat jene Tage der Jugend und Liebe schöner, wahrer und ergreifender geschildert als Schiller, wenn er singt:
»Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe;
Er flieht in’s Leben wild hinaus,
Durchmißt die Welt am Wanderstabe,
Fremd kehrt er heim in’s Vaterhaus,
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöh’n,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz; er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Thränen;
Er flieht der Brüder wilde Reih’n.
Erröthend folgt er ihren Spuren
Und ist von ihrem Gruß beglückt;
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
O, zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe gold’ne Zeit!
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
O, daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!«
Ja, es liegt in dieser jungen, ersten schlackenfreien Liebe eine Seligkeit, welche ihre vergoldenden Strahlen weit, weit hinein in das Leben, bis in die letzten kurzen Tage des höchsten Alters wirft. Noch wohnt Glauben und Vertrauen im Herzen, die Hoffnung eilt auf den Flügeln der Phantasie siegreich vorwärts um nach den höchsten Zielen zu greifen, und frischer, freudiger Jugendmuth beseelt die Sinne und stärkt die Hand zum angestrengten Schaffen. Noch haben die Entsagungen und Entbehrungen des harten, anspruchsvollen Lebens sich nicht geltend gemacht, noch wurde keine gestorbene Hoffnung in das Grab gesenkt, das Auge blickt frei und ungetrübt und der Weg liegt gebahnt, frei und eben vor dem Fuße. Es ist der Lenz der Jugend, der Mai des Lebens, welcher seine Knospen schwellt, seine Blüthen treibt und seine Düfte spendet. Und dieser Lenzesmonat steht mit dem jährlich wiederkehrenden Frühlinge in engster Beziehung; denn wenn draußen in der Natur das Grün erwacht und die Bäume sich mit Blüthen schmücken, so beginnen auch im Menschenherzen jene Triebe zu erwachen, welche nach süßer Minne und holder Vereinigung streben.
»Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen neu
Die Liebe aufgegangen.«
bekennt der Sänger der Liebe, und ein anderer Dichter kleidet das Sehnen nach Liebe und Erhörung in die fragenden Worte
»Ach, nur ich steh so alleine,
Ohne Licht und Sonnenschein;
D’rum, Du Holde, die ich meine,
Sag’, willst Du mein Frühling sein?«
Wie der Frühling die Zeit der Liebe, so ist die Rose, die Blume das Bild derselben und ebenso das Bild der erknospenden und erblühenden Jungfrau.
»Du bist wie eine Blume,
So hold, so schön, so rein«
lautet das bewundernde Bekenntniß des Liebenden, und als süßes Zeichen und schönste Gabe der Liebe findet manch ein Röslein Platz am jungfräulich schwellenden Busen.
»Und wenn Ihr am Busen der Theuren verblüht,
Dann öffnet die Kelche, dann redet und glüht,
Dann flüstert ganz leise, mit lieblichem Weh’n:
›Er liebt dich, er liebt dich und darf’s nicht gesteh’n!‹«
befiehlt der Troubadour den Frühlingskindern, welche er dem Gegenstande seiner verschwiegenen und zaghaften Minne sendet. Die Blume ist der Buchstabe, und ihre Farbe, ihr Duft der Laut, aus welchem sich die Sprache der Liebe zusammensetzt, und der Morgenländer giebt der Sehnsucht oder der Befriedigung seines Herzens am liebsten Ausdruck durch das im »Selam« verborgene Bekenntniß. Selbst der Hoffnungslose kann sich nicht enthalten, die Qual seines Herzens zu gestehen, und setzt die blühenden Zeichen zusammen zu der klagenden Bitte:
»Und wenn nun bald ich schlafen gehe,
In meiner treuen Brust ihr Bild;
Wenn ich sie nimmer wiedersehe,
Die meine ganze Seele füllt;
Wenn traurig dann, die Köpfe senkend,
Auch Ihr dem Grab entgegeneilt
Und sie, noch einmal mein gedenkend,
Im stillen Sinnen bei Euch weilt;
O, flüstert leise ihr dann zu:
›Die schönste Rose bist ja Du!‹«
Unzählig sind die Vergleiche, welche zwischen der Rose und dem Liebchen gezogen werden, und wirklich giebt es wohl kaum ein passenderes Bild für die »Menschenblume, die holde«, als die in anmuthiger Pracht sich entfaltende Blüthe des Rosenstrauches. Wie diese Letztere in der Einsamkeit, umgeben von weniger freundlichen Kindern der Natur, ihre Schönheit am augenfälligsten dem betrachtenden
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