Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Blicke darbietet, so ruht das Auge des bewundernden Beobachters, nicht abgezogen durch andere, gleichschöne Formen, mit größerer Aufmerksamkeit auf der rosigen Tochter der Abgeschlossenheit, als auf der von zahlreichen Schwestern umgebenen Dame der Gesellschaft und des Salons. Deshalb lenkt die Poesie ihre Schritte so gern in die Verborgenheit abgelegener Thäler, um da die Gegenstände ihrer lieblichen Schilderungen zu suchen.
»In einem Thale, friedlich stille,
Sah’ eine Rose ich ersteh’n,
Begabt mit hoher Schönheit Fülle,
Wie ich noch keine je geseh’n,«
beschreibt sie die Entwickelung des anmuthigen Lieblings, führt in mütterlicher Fürsorge den Bewerber herbei und entschleiert die Gefühle seines Herzens:
»Es liegt ein Weiler fern im Grund;
Da blüht ein Röslein jung und schön,
Wie nimmer in der ganzen Rund,
So traut, so lieblich anzuseh’n.
Und als ich kam, und als ich’s sah,
Ich weiß es nicht, wie mir geschah!«
Aber das schönste Glück des Lebens muß erkauft, verdient, errungen und erkämpft werden, und nicht jedem Wunsche lacht eine sofortige Erfüllung:
»Ist die Welt zur Ruh’ gegangen,
Steigt der Liebe Stern zur Höh’,
Blickt mit sehnendem Verlangen
Nieder auf die Blumenfee.
Doch, berührt von seinem Scheine,
Schließest Du die Krone zu.
Schlafe wohl, Du spröde Kleine;
Rose, ach, wie schön bist Du!«
denn nur nach langem Jagen, Klagen, Fragen, Zagen, Wagen und Versagen
»Blühst Du in sel’ger Lust
Mir an der treuen Brust.«
Und dieses Blühen und Duften einer schönen, edlen und reinen Frauenseele kennt keinen Herbst, keinen Winter, sondern beglückt ununterbrochen, fort und fort Den, der sich sein »Veilchen lieb und zart« an das warme Herz gebettet hat; es währt selbst über das Grab hinaus, und Keiner hat es so schön in die Worte gefaßt, wie Hafis, der Perser, der größte Liebesdichter des Morgenlandes, wegen der Schönheit seiner Sprache genannt Lisan ul Chaid, d.i. geheiligte Zunge, und seine Worte lauten, in freies Deutsch übertragen:
»Dann rauscht Dein trauerndes Gewand
Wie leise Klage um den Ort der Ruhe,
Und wenn die Wohlgerüche Deiner Locken
Um’s Grab mir wehn,
So blühen tausend Blumen
Aus meinem Hügel auf.
Die Schwärze Deines Auges wird verhüllt
Von heißer, schmerzgeborner Thränenfluth,
Und zitternd trägt die Würze Deines Odems
Den Namen des Dahingeschiednen: Hafis.«
Die Vorhersagung des Dichters hat sich erfüllt. Als er, dem seiner Lieder wegen die Imams ein ehrliches Begräbniß verweigerten, gestorben war, wehte der trauernde Schleier der Geliebten vom Morgen bis zum Abend über seinem Grabe; die Rose von Schiras schlug ihre Wurzel in die Erde, die ihn deckte; die schönsten Frauen Persiens pilgerten und wallfahren noch heute aus weiter Ferne zu seinem Grabe, und selbst der fremde Abendländer kann das Land des Cyrus nicht verlassen, ohne eine der berühmten Knospen von dem Hügel zu brechen, um sie als heiliges Andenken in die weitentlegene Heimath mitzunehmen.
Noch weiter geht die Poesie, wenn sie sogar einzelne Körpertheile in ihre Vergleichung zieht;
»Auf ihrer Wange blüht die Rose,
Es schimmert weiß die Lilienhand,«
beschreibt der Meistersänger die Schönheit seiner Heldin; die Schilderung des Morgenländers bemächtigt sich des ganzen Blumenschatzes, um die Holdseligkeit seiner Favorite zu beschreiben, und ganz besonders ist es das Auge, für welches kein Bild, keine Vergleichung hinreichend erscheint.
»Ich sah die helle Thräne glüh’n
In Deines Auges Blau,
Das wie ein Veilchen mir erschien,
Benetzt mit Tropfen Thau.«
Doch nicht blos der Dichter nimmt die Schönheit und Würde des Weibes vorzugsweise gern zum Gegenstande seiner Verse, sondern auch die anderen Künste haben sich der Darstellung derselben bemächtigt, und wir haben Meisterwerke der Malerei und Bildhauerei, welche die Bewunderung noch später Jahrhunderte in Anspruch nehmen werden.
Wenn das Weib den Künstler zu solchen Werken zu begeistern vermag, so darf uns eine Liebe, welche mit aller Kraft des Herzens und Lebens den holden Gegenstand umschließt, nicht Wunder nehmen. Die ältesten Sagen berichten von der hingebenden Macht und freudigen Opferwilligkeit einer solchen Liebe, welche lieber in den Tod geht, als daß sie sich zur Entsagung entschließt; und war diese Entsagung eine unvermeidliche so folgte ihr oft ein Dahinschwinden alles Lebensmuthes, aller
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