Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Grundwesen nicht verändern. Allerdings brennt die Flamme nur unter der Bedingung, daß sie sich verändern, sich erheben, sich senken und wieder in die Höhe steigen und Form und Farbe wechseln kann. Aber die Natur hat dafür gesorgt. Das Weib wechselt ohne Unterlaß ihr äußeres und inneres Aussehen; ein Weib enthält ihrer tausend. Und die Einbildungskraft des Mannes wechselt ebenfalls ihren Gesichtspunkt. Auf dem im Allgemeinen haltbaren und ausdauernden Boden der Gewohnheit zeichnen sich Veränderungen ab, welche die Zuneigung modificiren und verjüngen.
In der Liebe ist der dramatische Moment interessant, ohne Zweifel. Aber dies ist derjenige der verhängnißvollen Gewalt, wo man nur sehr wenig Einfluß auszuüben im Stande ist, wo nur die Zuschauerrolle übrig bleibt. Es ist wie der Strom, den man von dem gedrängtesten Punkte aus betrachtet, schäumend und tobend. Man muß ihn aber vielmehr als Ganzes und im Zusammenhange seines Laufes auffassen. Weiter oben war er ein friedliches Bächlein weiter unten wird er zum großen aber lenksamen Fluß.«
Michelet widersetzt sich hier also hauptsächlich derjenigen Auffassung, welche die Liebe nur im Ausbruch leidenschaftlicher Auffwallung gelten lassen will. Diese seinen Landsleuten besonders sympathische und geläufige Auffassung bekämpft er dadurch, daß er der Liebe eine längere Lebensdauer zuspricht, als sie als »dramatischer Moment« haben kann. Aber der Beweis läßt sich auf diese Weise nicht führen, und obgleich Michelet ganz Recht hat, die Liebe nicht blos als fiebernde Erregung, als potenzirte Leidenschaft gelten lassen zu wollen, so vergreift er sich doch in seiner Widerlegung und kommt eben dadurch zu dem ganz unnöthigen und unrichtigen Schluß, dem Liebesgefühle eine lange Dauer zuzuschreiben. Das Bild, durch welches er schließlich seine Ansicht zu stützen sucht, gewährt eine solche Stütze in keiner Weise. Denn sollte er Recht haben, so müßte also zu folgern sein, daß das Bächlein ein Fluß und der Fluß ein Strom sei. Allein wie sollten wir dazu kommen und wie läßt sich irgendwo logisch ableiten, daß zwischen diesen dreien kein wesentlicher Unterschied bestehe, weil eins in das andere übergeht und sie insofern, wenn man ihren Zusammenhang ins Auge faßt, ein Einheitliches bilden? Diese Argumentation steht offenbar auf sehr schwachen Füßen. Lassen wir aber alle irreführenden Vergleiche bei Seite, so handelt es sich zunächst doch nur um die Frage, ob die durch den Geschlechtszusammenhang vermittelte Liebesempfindung des Menschen ein Eigenthümliches auf zuweisen hat, welches ihr zum unterscheidenden Merkmal und zur wesentlichen Bestimmung gereicht – und diese Frage ist unbedingt zu bejahen.
Das geschlechtliche Liebesgefühl hat seinen Ursprung aus der Sehnsucht, und dem Gefallen gemäß das Eigenthümliche an sich, daß es ein von aller Willkür völlig behütetes Gebiet darstellt. Schon bei ihrem ersten Entstehen macht die Liebe, obwohl ihr Werdeprozeß sich von dem denkenden Beobachter wohl erfassen und im Zusammenhange darstellen läßt, auf den Menschen den Eindruck des völlig Ursprunglosen, Unentstandenen:
»Sie kommt nicht – sie ist da!«
Der erste Ton, der, die Liebe ankündigend, mit leisen, süßen Schwingungen durch die junge Seele zittert, kündigt sich sofort als Bote aus einer Welt an, die nicht allein mit unseren Sorgen und Kümmernissen nichts gemein hat, sondern auch unserm Wollen und Streben nicht unterthan ist. Ehe das neue Gefühl irgendwie die Zeit hat, zur Leidenschaft zu werden, besitzt es schon den Character des Unwiderstehlichen. Gewöhnlich wird dies auf Rechnung der Leidenschaft gesetzt. Aber das einfache Gefühl, kaum daß es entstanden, emporgehoben nur von dem ersten Begeisterungsschwung, wird sofort als etwas empfunden, dem Ueberlegung und Wollen nichts recht anzuhaben vermögen. »Ich liebe ihn aber nun einmal« – diese unverständige Rede, welche den Vater empört, weil sie die einzige, von Thränen begleitete Erwiderung auf alle Gründe ist, mit denen er bewiesen hat, daß sein Kind ihren Geliebten weder lieben könne noch dürfe, noch in Wahrheit liebe, spricht gleichwohl das ganze Wesen dieses unverständigsten aller Gefühle aus, wie es vom ersten Anbeginne an ist und wie es sich erhält, so lange es eben wahrhafte Liebe ist.
Daß die Liebe, die Geschlechtsliebe, so zum Wollen steht, daß sie auf diese Weise nicht allein ungeneigt, sondern außer Stande ist, »Vernunft
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