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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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anzunehmen,« wie ja Molière sagt: » Le coeur ne raisonne pas, « daß sie aus innerer Nothwendigkeit instinctiv verfährt, bildet jedenfalls einen charakteristischen Zug ihres Wesens, macht sie zu einem Unvergleichlichen, unterscheidet sie sehr scharf von dem Gefühle eines zärtlichen Zusammenhanges, welches wir Eltern, Kindern, Geschwistern oder Verwandten gegenüber oder welches Gatten im weiteren Verlaufe des ehelichen Lebens für einander hegen. Alle diese Gefühle, so innig, rein und hingebend sie sein können, beruhen nicht mehr auf dem reinen Gefallen, sondern auf diesem nur im Vereine mit anderen Elementen, welche sich demselben innigst zugesellen.
    Theils treten zu ihnen früh erworbene Empfindungen der Pietät, theils wirkt die Gewöhnung, wie dies bei all’ diesen Verhältnissen, namentlich auch bei dem Gefühle, welches Gatten für einander hegen, der Fall ist, sodaß es oft völlig ununterscheidbar ist, wo das Gefallen noch selbstständig im Menschen wirkt und wo durch die Gewöhnung ganz oder theilweise schon ein Ersatz geschaffen ist. Die Gatten selbst sind grad’ über diesen Punkt selbst die allerunzuverlässigsten Zeugen, am ehesten ist ein orientirendes Urtheil nach einem dritten, unparteiischen Beobachter ermöglicht.
    Weil sich dies so verhält, besteht nun auch ein vollständig anderes Verhältniß dieser Liebe zum Wollen. Die Kindesliebe mag einmal ermüden, aber sie schöpft neue Kraft aus einer pietätsvollen Mahnung an das Gewissen des Menschen, und diese Pietät bleibt dem Herzen treu für’s Leben lang, ebenso treu, wie das Gedächtniß die Zeit des Jugendparadieses festzuhalten pflegt:
     
    Ich gedenke, ich gedenke
    An’s liebe Vaterhaus,
    Des Stübchens, da der Sonnenstrahl
    Geäugelt ein und aus.
    Kam nie ein Pünktchen mir zu früh’,
    Hielt nie zu lang die Wacht –
    Jetzt wünsch’ ich oft mir, daß mein Hauch
    Möcht’ enden über Nacht!
     
    Ich gedenke, ich gedenke
    Der Röslein, naß vom Thau,
    Der Lilien und der Veilchen Schaar,
    Gewebt aus Saphirblau;
    Rothkehlchens Nest im Fliederbusch,
    Und den als Schößling kaum
    Mein Bruder pflanzt’ am Wiegenfest –
    Jetzt ist’s ein großer Baum.
     
    Ich gedenke, ich gedenke,
    Wie ich geschaukelt froh
    Und dacht’, beim Sturme müßte sein
    Dem Schwalbenfittig so!
    Da flog mein Geist auf Federn noch,
    Der matt jetzt wankt und schwer,
    Und kühlen konnten seine Gluth
    Die Bäche nimmermehr!
     
    Ich gedenke, ich gedenke
    Der Föhren, schwarz und hehr;
    Ich glaubte, daß ihr schlankes Haupt
    Dicht, dicht beim Himmel wär’!
    Es war ein kind’scher Unverstand, –
    Doch ach! wie traurig-klar:
    Daß ich dem Himmel ferner jetzt,
    Als da ich Knabe war!
     
    Ebenso vermag die Liebe der Eltern oder Verwandten einmal matter zu werden, aber sie findet doch immer wieder neue Nahrung; die Gatten gedenken ihrer ehelichen Pflichten oder der goldenen Zeit ihres jungen Liebesglückes, und sie fühlen sich wieder neu für einander belebt, wenn die Gefühlswärme zu verschwinden begann – sie alle vermögen unter   Umständen ihr Lieben zu wollen und dasselbe sich dadurch lebendig zu erhalten; aber welcher Liebende würde je daran denken können, sich das Gefühl für seine Geliebte aus irgend welchen Rücksichten erhalten zu wollen – der bloße Gedanke an ein solches Wollen spricht das Todesurtheil des Gefühles aus, und nur der Schatten des letzteren irrt dann noch in der Seele umher.
    Auf diese Weise behauptet die Geschlechtsliebe eine durchaus eigenthümliche Stellung; sie ist etwas Eigenartiges, welches sich grad’ in dem Grundprinzipe ihres Wesens von anderen, mehr oder weniger verwandten Gefühlen scharf unterscheidet, und so muß wohl auch diese Besonderung bei der theoretischen Betrachtung genau festgehalten werden.
    Ein Gefühl, welches seinen Ursprung von dem reinen Gefallen nimmt, ist stets sehr leicht verwundbar, und es kann zu seiner Erhaltung ihm von keiner Seite Hülfe geleistet werden. Jede einigermaßen erhebliche Veränderung seines Gegenstandes kann das ursprüngliche Wohlgefallen an demselben in das grade Gegentheil umschlagen lassen, und nicht weniger bedroht ist dieses Wohlgefallen durch die Veränderung des Subjectes. Und wo ist in unserer veränderlichen Welt ein Schutz gegen solche Veränderungen die aus unzähligen Ursachen jeden Augenblick eintreten können, als die bestimmte Beschaffenheit des Individuums selbst von einer großen und unabsehbaren Reihe ineinandergreifender Ursachen abhängig ist. Doch

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