Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
groß, keine Last zu schwer, keine Entsagung zu drückend, kein Ziel zu hoch; vor seinem Muthe ebnen sich die Berge, heben sich die Abgründe, überbrücken sich die Thäler, senken sich die Felsen; es schwindet die Menschenfurcht, es stärkt sich das Selbstvertrauen, es erweitert sich der geistige Horizont, es stählt sich die Kraft – aber Eins muß der Fall sein, Eins muß er können und dürfen: seinen Blick senken in ein freundlich Auge, in ein sympathisches Angesicht, einen Arm fühlen um seinen Nacken und ein Wort hören aus zärtlichem Munde. Seine Sonne muß ihm leuchten, jene Sonne, ohne deren Strahl er nicht leben kann und die ganze herrliche Blüthenpracht seines Innern verwelkt und verdorrte wie der Wiesenflor unter dem erkältenden Wehen des Nordwindes. Darum auch ist sein Muth, die Spannkraft seines Geistes und der Glaube an den Erfolg dahin, sobald seine Sonne erlischt und sich das Auge schließt, aus welchem er geistige Nahrung gesogen:
»Ich sah der Sonne letzten Gruß
Um dunkle Wolken sprühn
Und zitternd unter ihrem Kuß
Den Waldessaum erglühn:
Du süße Hoffnung, reich an Glück,
Das sich mit liebeswarmem Blick
Aus dunklem Auge zu mir stahl,
Du warst mein einz’ger Sonnenstrahl!
Nun ist es Nacht – der Himmel weint;
Kein Stern, der tröstend mir erscheint.
Wild heult der Sturm, dumpf braust das Meer,
Und von den Zweigen tropft es schwer,
Müd’ senkt die Wimper sich zur Ruh
Und deckt das feuchte Auge zu –
Ade, ade viel tausend Mal,
Du lieber, lieber Sonnenstrahl!«
Das Weib als Gattin hat einen nicht minder großen Einfluß auf den Mann, als die Geliebte auf den Jüngling, nur ist dieser Einfluß ein steter, ein ruhiger wirkender geworden. Die hochauflodernde, nach allen Richtungen flackernde und züngelnde Flamme hat sich gesenkt zum erwärmenden und festen Zwecken dienenden Feuer des häuslichen Herdes; die Sturm- und Drangperiode, in welcher Körper und Geist sich an Titanenthaten versuchen wollten, ist in eine Zeit abgemessenen und überlegten Schaffens übergegangen, welches mit stiller und herzlicher Freude, mit frommer Genugthuung seine Blüthen schwellen und seine Früchte reifen sieht. Der Blick für die umliegenden Zustände, für die Verhältnisse und Anforderungen des Lebens hat die so nothwendige Sicherheit gewonnen, die Wahrscheinlichkeitsberechnung des jugendlichen Alters hat gelernt, sich fester und untrüglicher arithmetischer Zahlen und geometrischer Maaße zu bedienen, die Ziele schwimmen nicht in der Morgenröthe, sondern gründen sich auf festen und ersteigbaren Boden, und Alles, was der Mann denkt, fühlt, spricht und thut, hat den Einfluß einer irreführenden Schwärmerei von sich geworfen und geschieht an der Hand einer besonnenen Ueberlegung, welche zwar mit freundlichem Lächeln sich der Luftschlösser früherer Tage erinnert, aber ohne Unterbrechung an dem Aufbau praktischer und in das Reich der Wirklichkeit gehörender Gebäude arbeitet. Und die Seele dieses schönen, genugthuungsvollen Schaffens ist das Weib, die Gattin. Ihr Mitwirken ist ein ebenso anhaltendes als intensives, obgleich es ohne Geräusch und Anspruch vor sich geht. Sie wirkt nicht für das beobachtende neugierige und oft rücksichtslose Auge der Außenwelt, sondern in der heiligen Zurückgezogenheit des häuslichen Lebens, aber hier ist sie die treibende, belebende, stärkende und nährende Kraft, welcher der Mann seine Erfolge verdankt, ohne daß er oft geneigt ist, es zuzugeben. Für Denjenigen aber, der zu dieser Erkenntniß gekommen ist, ist das Weib mehr als ein körperliches Wesen, welches er an seine Seite genommen hat, um für seine Bequemlichkeit und andere äußerliche Dinge gesorgt zu sehen; sie ist die Vertreterin einer Liebe, die einer höheren als der irdischen Region entstammt, einer Kraft, die ihren Ursprung über den Nebeln des Erdenlebens hat, und ist sie zurückgekehrt in die höhere Heimath, so bekleidet das Andenken die Geschiedene mit himmlischem Gewande und erblickt sie in einer Verklärung, welche den Schmerz des Getrenntseins milder und der Hoffnung auf ein Wiedersehen Stärke, Kraft und Dauer verleiht:
»O du mein Alles weiland,
Mein Grämen und mein Sein,
Im Meer mein grünes Eiland,
Mein Bronnen und mein Schrein,
Umrankt von tausend Blumen,
Und alle Blumen mein!
O Traum, zu süß zum Währen!
O Stern, zu hold zum Glüh’n!
Nur durch Erinnrungszähren
Mag euer Glanz noch sprüh’n,
Nur aus vergang’nen
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