Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ist, war noch nie; was war, kommt nicht wieder: Alles ist neu und doch immer das Alte.
Sie scheint Alles auf Individualität gelegt zu haben und macht sich nichts aus dem Individuum. Sie baut immer und zerstört immer, und dabei ist ihre Werkstätte unzugänglich.
Sie lebt in bunten Kindern, und die Mutter, wo ist sie? Sie ist die einzige Künstlerin; aus dem simpelsten Stoffe zu den größten Contrasten, ohne Schein der Anstrengung zu der größten Vollendung, zur genauesten Bestimmtheit, immer mit etwas Weichem durchzogen. Jedes ihrer Werke hat ein eigenes Wesen, jede ihrer Erscheinungen den isolirtesten Begriff, und doch macht Alles Eins aus.
Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewegen in ihr, und doch rückt sie nicht weiter. Sie verwandelt sich ewig, und es ist kein Moment Stillstehen in ihr. Für’s Bleiben hat sie keinen Begriff, und an den Stillstand hat sie ihren Fluch gehängt. Sie ist fest, ihr Tritt ist gemessen, ihre Ausnahmen selten, ihre Gesetze unwandelbar.
Sie läßt jedes Kind an ihr künsteln, jeden Thoren über sie richten, Tausende über sie stumpf hingehen und nichts sehen, und hat an Allen ihre Freude und findet bei Allen ihre Nahrung.
Man gehorcht ihren Gesetzen, auch wenn man ihnen widerstrebt; man wirkt mit ihr, auch wenn man gegen sie wirken will. Alles, was sie giebt, macht sie zur Wohlthat, denn sie macht es erst unentbehrlich. Sie säumt, damit man sie verlange; sie eilt, damit man sie nicht satt werde.
Sie hat keine Sprache noch Rede, aber sie schafft Zungen und Herzen, durch die sie fühlt und spricht. Ihre Herrin ist die Liebe, und nur durch diese kommt man ihr nahe. Sie macht Klüfte zwischen allen Wesen, und Alles will sie verschlingen. Sie hat Alles getrennt, um Alles zusammenzuziehen. Durch ein paar Züge aus dem Becher der Liebe hält sie für ein ganzes Leben voll Mühe schadlos.
Sie ist Alles. Sie belohnt sich selbst und bestraft sich selbst; sie erfreut sich selbst und quält sich selbst. Sie ist rauh und polirt, lieblich und schrecklich, kraftlos und allgewaltig. Alles ist immer da in ihr. Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht, und Gegenwart ist ihr Ewigkeit. Sie ist gütig. Ich preise sie mit allen ihren Werken. Sie ist weise und still. Man erzwingt sich keine Erklärung von ihr und trotzt ihr kein Geschenk ab, welches sie nicht freiwillig giebt. Sie ist listig, aber zu gutem Ziele, und am besten ist’s, ihre List nicht zu bemerken.
Sie ist ganz und doch immer unvollendet. So wie sie’s treibt, so kann sie’s immer treiben. Jedem erscheint sie in einer eigenen Gestalt. Sie verbirgt sich in tausend Namen und Gestalten, und doch ist sie immer und ewig dieselbe.
Sie hat mich hereingestellt, sie wird mich auch herausführen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten, denn sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr: nein, was wahr ist und was falsch ist, Alles hat sie gegeben. Alles ist ihre Schuld; Alles ist ihr Verdienst!« –
So sprach im Jahr 1780 Göthe. Wir dürfen uns wohl fragen, was man eigentlich unter dieser »Natur« zu verstehen habe, die Alles kann und Alles thut und welche sogar von Unzähligen an die Stelle Gottes gesetzt wird. Bei näherer und leidenschaftsloser Betrachtung erkennen wir in ihr nichts anderes als das Ensemble der Gesetze und Kräfte, deren sich der Schöpfer zu seinem erhabenen Werke bediente, und die noch heute fortwirkend thätig sind.
»Und Herr ist er. Im Sternenheer
Erblickst du seiner Größe Spur;
Sein Fuß ruht in dem Weltenmeer,
Und sein Gesetz ist die Natur!«
singt ein neuerer Dichter, indem er sich mit diesen Worten zu der einzig richtigen Weltanschauung bekennt, daß ein allmächtiger Gott der Urheber aller Gesetze, Kräfte und kreatürlichen Erscheinungen sei. Das, was wir Natur nennen, ist nicht eine aus sich herauswirkende Kraft, sondern der in fortwährender Wirkung sich offenbarende schöpferische Wille Gottes. Dieser Wille ist ein ewig weiser, der, obgleich unendlich frei, sich selbst und das Erschaffene an unumstößliche Gesetze bindet und Nichts durch einen Machtspruch, sondern Alles nur durch ein allmäliges Werden entstehen läßt. Das biblische »Es werde« gehört nicht einem kurzen Augenblicke an, sondern es tönt noch heute fort, und die sechs Tage der Schöpfung sind noch nicht vollendet, trotzdem vom ersten Stundenschlage der Zeitlichkeit an Millionen und Abermillionen von Jahren vergangen sind.
Die Berichte unserer Religionsbücher über die Entstehung der Erde
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