Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Liebe zum Vaterlande zur Seite schritt, bereitete sich das üppige Zeitalter vor, welches wir schildern wollen.
Die Kunst machte reißende Fortschritte, und jene erhabenen Ideale der Schönheit, welche die Bewunderung aller Nationen und aller Zeitalter erregten, rühren aus jener Zeit her.
Nicht nur Maler und Bildhauer entstanden in jener Epoche, Philosophen, Dichter und Redner schlossen mit den ersteren durch ihre Einbildungskraft und durch ihren Verstand einen Bund, wie er schöner noch nie bestand, als in dieser Zeit.
Mit dem verfeinerten Geschmack indeß ging auch die Verweichlichung des Volkes Hand in Hand und unter einem so milden Himmelsstriche, wie Griechenland ihn sein eigen nennt, wo alle Reize der Natur sich vereinigen, war es wohl kein Wunder, daß die Sittlichkeit nach und nach unter dem immer mehr und mehr um sich greifenden Luxus litt. Vorzüglich die griechischen Damen waren es, welche durch ihre Puß-und Gefallsucht die Bahnen vorzeichneten, welche das Volk seinem Untergange entgegenführten.
Die sittliche Verdorbenheit riß nach und nach in das Privatleben der Griechen ein und übte den allernachtheiligsten Einfluß auf den moralischen Zustand der Nation.
Der Gesetzgeber Lykurg bildete in Sparta einen Staat für sich, dessen Interessen er alle Gesetze der Natur rücksichtslos unterordnete.
In seinen Augen existirte die Geschlechtsliebe nur zu dem Zwecke, dem Staate kraftvolle Bürger zu geben, und er opferte deshalb das Heiligthum der Ehe, indem er jedem kraftvollen und wohlgebildeten Spartaner die Erlaubniß ertheilte, sich die Gattin eines Mitbürgers auf einige Nächte auszubitten, um die Familie mit seinem Blute zu veredeln, und es war nichts Seltenes bei diesem Volke, daß alte, kraftlose Männer ihre Weiber in die Arme wohlgebildeter, kräftiger Jünglinge führten, um diese zu bitten, Sorge zu tragen für ihre Nachkommenschaft, wozu ihnen die Fähigkeit fehlte. Es ist kein Beispiel bekannt, daß jene Jünglinge jemals einen Korb von den ihnen zugeführten Weibern erhalten hätten.
Den Muth und die Tapferkeit seiner Bürger in einem Grade zu steigern, der sie unüberwindlich machen sollte, war eine der Hauptaufgaben, welche Lykurg sich gestellt.
Jungfrauen wie Jünglinge worden durch gymnastische Uebungen, durch Tanzen und Ringen abgehärtet, und die Ersteren sollten dadurch besonders geschickt gemacht werden, starke und gesunde Kinder mit Leichtigkeit zu gebären.
Die Kleidung der Mädchen war leicht und schmucklos und auf beiden Seiten unter dem Gürtel offen, wodurch es in ihrem Belieben stand, bei der Bewegung die reizendsten Formen den Blicken der Männer bloßzustellen. Bei gewissen Spielen mußten die beiden Geschlechter sogar nackt mit einander kämpfen; Hagestolze waren jedoch bei denselben als Zuschauer ausgeschlossen.
Der Zweck, den Lykurg hierbei verfolgte, ist leicht zu erkennen. Er wollte den beiden Geschlechtern kriegerischen Muth einflößen, er wollte sie abhärten und unempfindlich machen gegen die Eindrücke, welche die erregten Sinne auf sie hervorbringen konnten und die Resultate seiner Erziehung vernichten mußten, wenn sie ein Spiel wollüstiger Träume wurden.
Vor dem dreißigsten Jahre durften die Männer, vor dem zwanzigsten die Jungfrauen nicht heirathen. Um nun zu verhindern, daß solche gesunde und kräftige Mädchen, welche von der Natur nicht mit Schönheit und körperlichen Reizen beschenkt waren, von den Männern verschmäht wurden, brachte man zu einer-gewissen Zeit alle mannbaren Mädchen an einem finsteren Orte zusammen, und die Jünglinge mußten hier ihre Bräute wählen, ohne zu wissen, wen ihnen das Glück in die Hände spielte. Den jungen Ehemännern war es nur gestattet, verstohlen ihre Frauen zu besuchen, damit ihre Liebe stets den Reiz des Geheimnißvollen behielt.
Man sieht, daß in diesem Staate Alles auf eine gesunde und kräftige Nachkommenschaft berechnet war. Von den Tafeln der Spartaner war jede Schwelgerei verbannt, die Mahlzeiten wurden öffentlich und in Gemeinschaft eingenommen, wobei das Hauptgericht stets die schwarze Suppe bildete. Sclaven mußten das Feld bauen und der spartanische Bürger kannte kein anderes Interesse, als seine Unabhängigkeit.
Es liegt auf der Hand, daß eine solche Lebensweise den entschiedensten Einfluß auf die Gemüther übte, und Sparta blieb vierhundert Jahre hindurch bei dieser Verfassung glücklich.
Natürlich mußte auch die Zeit kommen, wo sich die Gesetze Lykurg’s überlebten und der
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