Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Handlungsweisen als Vorbilder galten für ihre Zeitgenossen; selbst die vornehmsten Athener scheuten sich nicht, ihre Weiber und Töchter dieser Meisterin in der weiblichen Bildungskunst zuzuführen. Selbst Sokrates besuchte diese holde Zauberin oft, welche ihn durch die Grazie ihres Umganges fesselte, und von ihr lernte er seine Moral mit jener Sitte schmücken, die ihm den Ruhm des größten Mannes seiner Zeit erworben.
Obwohl Aspasia den Frühling ihres Lebens als gemeine Buhlerin verbracht hatte, so gab sie sich doch später keiner unnützen Umarmung eines Mannes preis. Sie hatte nur Liebhaber, um sich Freunde zu machen, und sie ergab sich ihnen nur, um sie zu beherrschen. Unter ihnen befand sich auch der berühmte Staatsmann Perikles, und von dem Glanze geblendet, welcher diesen umgab, beschloß sie, sich seiner Liebe zu versichern. Einem Weibe wie Aspasia konnte dies nicht schwer fallen, und bald vereinigte Beide das zärtlichste Band. Von diesem Augenblicke an war ihr Leben mit der politischen Geschichte ihrer Zeit verwebt, und unter ihren wollüstigen Umarmungen, unter ihren glühenden Küssen wurden jene Entwürfe ersonnen und beschlossen, denen Athen einen Theil seiner Größe, aber auch seines Verderbens verdankt.
Es fehlte natürlich auch nicht an Feinden, welche Aspasia’s Größe herunterzusetzen suchten, und man klagte sie an, dem Perikles freie Weiber zur Umarmung zugeführt zu haben. Diese Anklage verband man mit einer andern, welche zu allen Zeiten sich als wirksam bewährt hat; man beschuldigte sie der Religionsverletzung. Perikles trat jedoch als ihr Vertheidiger auf und bewirkte ihre Freisprechung. Nach dem Tode dieses ihres berühmten Geliebten verband Aspasia sich mit einem Manne niederer Herkunft und von dieser Zeit an verschwindet ihr Name in einem undurchdringlichen Dunkel.
Seit den Zeiten Aspasia’s hatte sich der Geschmack der Hetären, wie wir sie jetzt nennen müssen, immer mehr der Wissenschaft zugewendet. Sie besuchten die öffentlichen Hörsäle der Philosophen, sie widmeten sich der Mathematik, der Beredtsamkeit, der Philosophie und anderen Wissenschaften.
Sie erwarben sich als Schriftstellerinnen gefeierte Namen, sie wurden Gegenstände der Geschichte und ihre Abenteuer gehörten zur Toilettenlectüre der feinen Welt.
Eine der berühmtesten Hetären nach Aspasia war Leontina, die Schülerin und Geliebte des Epikur. Nach einer in den Armen der Wollust verlebten Nacht wußte sie am andern Morgen über die Natur der Liebe zu philosophiren und verstand es so, zu gleicher Zeit Vergnügungen zu genießen, zu gewähren und zu analysiren. Durch ihre Reize unterjochte sie die ganze Schule des Epikur und schrieb nebenbei ein philosophisches Werk, welches Cicero sehr lobte.
Die Hetäre Nikarete theilte ihre Zeit zwischen Liebe und Mathematik, und es war schwerer, ihre Gunst durch Geld zu gewinnen, als durch die Auflösung einer algebraischen Formel. Der große Philosoph Stilpo genoß ihre Gunst und weihte sie dafür in alle Geheimnisse der Dialektik ein. Es war überhaupt für alle Gelehrten das sicherste Mittel, ihrem System Glanz und Anhang zu verschaffen, wenn sie eine Hetäre zur Schülerin und Geliebten hatten.
In Korinth standen die Hetären auf der höchsten Stufe ihres Ruhmes. Sie wurden in dieser Stadt als Priesterinnen der Venus verehrt, beteten ihre eigenen Gottheiten an, feierten ihre eigenen Feste und hatten ihre eigenen Tempel. Als Xerxes in Griechenland einbrach, versammelten sich alle Hetären in dem Tempel ihrer Göttin, um dem Verlangen der Korinther nachzukommen und ihre Göttin anzurufen, ihren Landsleuten den Sieg zu verleihen. Bei dieser Gelegenheit zeigten die Hetären ihren Patriotismus im höchsten Grade; sie gelobten nämlich alle siegreich zurückkehrenden Krieger zum Danke für sie Rettung des Vaterlandes mit ihren zärtlichsten Umarmungen zu beglücken. Nach beendigtem Kriege wurde dieser Vorgang durch ein meisterhaftes Gemälde verherrlicht.
Unter den Hetären Korinths war es besonders Lais, welche durch ideale Schönheit alle Nebenbuhlerinnen verdunkelte.
Ganz Griechenland lag vor ihrer Thür, Fürsten und Priester, Philosophen und Athleten huldigten ihrer Schönheit. Selbst der berühmte Redner Demosthenes reiste insgeheim nach Korinth, um sie kennen zu lernen, und ebenso hatte sie eine rasende Liebe zu Diogenes gefaßt, der außer seiner Laterne und Tonne nichts in der Welt besaß, während ein gewisser Aristippa unermeßliche Summen
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