Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Ein Kuß, den man einer Frau oder Jungfrau wider ihren Willen raubte, wurde mit Verweisung des Landes, ein solcher aber, den man gutwillig von einer Schönen, aber ohne Wissen des Vaters oder Mannes erhalten hatte, mit drei Mark Silber bestraft.
Die Alemannen und Baiern, obgleich weniger streng als die Franken und Scandinavier, straften doch ein den Weibern angethanes Unrecht doppelt so hoch, als ein den Männern zugefügtes. Wer von ihnen einer Frau oder Jungfrau das Haar losriß, mußte sechs, und wer sich erfrechte, sie bis an das Knie oder gar noch drei Spannen höher zu entblößen, mußte zwölf Salidos erlegen, womit man eine tiefe und gefährliche Kopfwunde büßen mußte, die man einem freien Manne beigebracht hatte.
Die Prostitution war bei den alten Germanen verpönt. Dirnen, welche sich dennoch dazu hergaben, ihre Körper zum Gegenstande eines Geschäftes zu machen, wurden des Landes verwiesen, wagte eine solche es doch, wieder zurückzukehren, wurde sie gesteinigt.
Folgende Strafbestimmungen, welche aus einem alten Decret herdatiren und sich auf Prostituirte und ihre Anhänger beziehen, sind interessant genug, hier einen Platz zu finden. Es heißt darin: Jede Prostituirte wird des Landes verwiesen, aber vor dem Antritte ihres Exiles öffentlich mit 300 Peitschenhieben bestraft. Jede rückfällige Prostituirte erhält 300 Peitschenhiebe, worauf sie einem Armen, der ihre Moralität überwachen muß, als Sclavin geschenkt wird. Eltern, die ihre Töchter zur Prostitution ausnützen, erhalten 100 Peitschenhiebe. Dienstboten, die sich der Prostitution ergeben, erhalten 300 Peitschenhiebe und müssen von den Dienstgebern entlassen werden; wenn diese die Entlassung nicht bewerkstelligen oder aus dem schmutzigen Gewerbe ihrer Dienstboten Nutzen ziehen, so erhalten sie ebenfalls 300 Peitschenhiebe. Richter, welche die Gesetzbestimmungen über Prostituirte nicht vollziehen, erhalten 100 Peitschenhiebe und müssen nebenbei noch 30 Sous als Strafe entrichten.
Die Keuschheit der germanischen Frauen hielt sich in ihrer ursprünglichen Reinheit bis zu dem Augenblicke, wo die deutschen Heere von den römischen Legionen besiegt wurden. Als der römische General Marius die Teutonen überwunden hatte, erklärten die wenigen Weiber, welche vom Schwerte verschont geblieben, daß sie sich ergeben würden, wenn er den von ihnen gestellten Bedingungen nachzukommen verspräche. Diese Bedingungen lauteten, daß sie nicht als Sclavinnen öffentlich verkauft würden, daß ihre Keuschheit unangetastet bliebe und daß man sie dem Dienste der Vesta oder einer andern keuschen Göttin weihen möchte. Als der römische Feldherr ihnen diese Bitten grausam abschlug, weihten sie sich selbst und ihre Kinder mit unerschüttertem Muthe dem Tode.
Das erhabene Bild der Keuschheit, des Edelmuthes und der Treue unseres germanischen Volksstammes trübte sich jedoch gar bald unter dem entsittlichenden Einflusse fremder Völker.
Die Gothen und Vandalen, welche sich in den eroberten Provinzen Italiens niedergelassen hatten, wurden bald, wie früher die siegenden Römer und Griechen in Asien, von dem Gifte römischer Laster angesteckt. Von ihnen aus verbreitete sich Ueppigkeit und Schwelgerei bis zum hohen Norden hinauf.
Der bisher uncultivirte Deutsche, unbekannt mit den Genüssen, welche eine höhere Cultur im Menschengeschlechte schafft, aber doch nicht stark genug, mit der Kraft seines Willens das Böse von dem Guten zu trennen und das letztere zu genießen, während er das erstere von sich wies, versank bald in die üppigsten Schwelgereien und deutsche Frauen wetteiferten bald mit den römischen Buhlerinnen. Die Uebermacht eines ausgelassenen Adels, eine schwelgerische, genußsüchtige Geistlichkeit, und die zügellosen Kreuzbrüderschaften, welche sich aller Orten bildeten, thaten das Ihrige, um die letzten Spuren der häulichen Tugenden zu verwischen, welche einst die Teutonen über alle Völker der Erde gestellt.
Die Franken, welche sich weniger mit den Römern vermischten, als die Vandalen und Gothen, kannten anfangs weder die religiöse, noch die gesetzlich erlaubte Prostitution und doch nahm die berühmte Tugend ihrer Vorfahren sehr schnell bei ihnen ab, und die Geschichte berichtet uns von den gemeinsten Lastern, welche unter ihnen geherrscht, von Ehebruch, Vielweiberei, Meuchelmord und Raubsucht. Die blutgierigen Ungeheuer, welche eine lange Zeit hindurch dieses Volk beherrschten, trügen nicht wenig dazu bei, durch ihre
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