Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Beispiele die Sitten immer mehr zu verderben.
Unter der Regierung Chlodwig’s, welcher nach seinem Uebertritte zum Christenthüme die Götzen seines Volkes stürzte, gestattete die christliche Kirche den Franken, sich neben ihrer rechtmäßigen Frau eine Concubine zu halten, und dieses Zugeständniß war auch für die Geistlichkeit giltig.
Kaiser Karl der Große erließ in Beziehung der öffentlichen Sittlichkeit einst folgendes Kapitular:
»Es ist uns eine schreckliche Nachricht zu Ohren gekommen, die wir nicht ohne Abscheu und Schauder wiederholen können, daß sehr viele Mönche in Unzucht und anderen Unreinlichkeit, ja sogar in unnatürlichen Sünden betroffen werden. Wir untersagen dies auf das Ernstlichste und machen hiermit bekannt, daß wir diejenigen Mönche, die sich solchen Fleischessünden überlassen, so hart bestrafen wollen; daß es keinem Christen in den Sinn kommen wird, sich auf eine ähnliche Weise zu vergehen. Wir gebieten zugleich, daß Mönche nicht mehr, wie bisher, außer ihren Klöstern umherschwärmen und Klosterfrauen sich nicht mehr der Unzucht und Völlerei ergeben sollen. Wir dulden es nicht mehr, daß sie Hurer, Diebe, Mörder etc. seien, daß sie schwelgerische Feste feiern und unzüchtige Gesänge singen, Priester sollen nicht mehr in allen Wirthshäusern und auf allen Märkten umherlaufen, um Weiber und Töchter zu verführen u.s.w.«
Im Jahre 705 gab derselbe Kaiser das erste Beispiel, wie ernst er es mit der Ausrottung der Laster meinte, welche alle Klassen der Gesellschaft ergriffen hatten. Er verhängte schwere Gefängnißstrafen, Auspeitschung und Ausstellung am Pranger gegen die Lustdirnen und ihren Anhang, sowie gegen Diejenigen, welche das Laster beschützten und demselben Vorschub leisteten. Jeder, der einer prostituirten Dirne Aufnahme gewährte, mußte, im Falle der Entdeckung, dieselbe auf dem Rücken bis zum Gerichtsplatze tragen und hatte alsdann dort dieselbe Strafe zu erdulden, wie jene.
Diese harten Strafen, welche Karl der Große einführte, wurden nach seinem Tode nicht mehr in Anwendung gebracht. Die Folge davon war, daß die öffentlichen Häuser sich vermehrten und die Prostitution immer kühner ihr Haupt erhob.
Um das Jahr 1000 nahm der sittliche Verfall ungeahnte Dimensionen an; der bevorstehende Untergang der Welt war für dieses Jahr prophezeiht worden und die Menschen überließen sich allen sündigen Lüsten, um in der kurzen Zeit ihres Daseins den Becher des Vergnügens bis auf den Grund zu leeren. Auch die unnatürlichen Befriedigungen des Geschlechtstriebes, Päderastie und Sodomie, nahmen mehr und mehr überhand und wurden mit einer erschreckenden Schamlosigkeit geübt.
Die vielgepriesene Tugend der Teutonen hatte schon lange ihren Tod gefunden in den Wogen der leckenden Cultur. Während man früher für die Keuschheit einer Dame kämpfte und seine Ritterehre für dieselbe verpfändete, war es nichts Neues mehr, daß manche Lanze für die Ehre einer Dame gebrochen wurde, von der alle Welt wußte, daß sie keine mehr besaß. – Alle Feste, Bälle und Gastmähler, womit die Turniere beschlossen wurden, arteten zu den ausgelassensten Bacchanalien aus und in künstlich angefachten Sinnesrauschen wurden Frauen und Jungfrauen entehrt. Deutsche Könige unterhielten ganze Heere von Maitressen, deutsche Städte wimmelnden von fahrenden Fräuleins, wie man die öffentlichen Freudenmädchen nannte, und dieselben trieben unter dem Schutze der Obrigkeit ihr schmutziges Gewerbe mit einer Ungenirtheit, die an das Unglaubliche grenzt. Die Sitten der ehelosen Geistlichen waren so verdorben, daß ein außereheliches Kind selbst vor dem Gesetze ein Pfaffenkind genannt wurde.
Und wie mit den geschlechtlichen Verhältnissen, so war es auch mit den äußeren und inneren Beziehungen des öffentlichen Lebens. Eine Sonne war aufgegangen, deren Strahlen mild und intensiv genug waren, das Leben der Völker zu erwärmen, in das Dunkel Licht zu schaffen und der Bruderliebe die Thore der Erde zu öffnen, aber der Sümpfen entstiegen giftige Dünste, dichte Nebel wallten durch die Thäler und schwere Wolkenmassen zogen sich um die himmelanstrebenden Berge. Es war ein Sonnenaufgang mit blutigen Reflexen, ein Kampf des jungen Tages mit den aufsteigenden Dämpfen der Erde; die Gewalt ließ sich das Scepter schwer entringen, die über den Geistern liegende Finsterniß wollte nicht weichen, die Völker wallten, wogten und flutheten hin und her, die echte Liebe führte zum
Weitere Kostenlose Bücher